„Brief aus Berlin“ (39)

Das Duell Rochow – Hinckeldey vor 165 Jahren

Am Volkspark Jungfernheide, direkt an der Autobahn, steht das Denkmal für Ludwig von Hinckeldey. Würde man langsam vorbeifahren, könnte man es sehen und auch erkennen, dass der Name falsch geschrieben ist: Hinkeldey. Hinckeldey wurde 1856 im Duell erschossen. Ein steinernes Kreuz wurde an der Stelle des Duells errichtet, da, wo der Heckerdamm über den Kurt-Schumacher-Damm führt, 1956 wurde es rund 300 Meter weiter nördlich verlegt.

Was hat es mit diesem Duell auf sich? Hinckeldey (1805 – 1856) war preußischer Generalpolizeidirektor in Berlin. Von Friedrich Wilhelm IV. protegiert, hat er sich große Verdienste erworben, indem er für die Wasserversorgung der Stadt und die Straßenreinigung sorgte (wir erinnern, wie Fontane sich über den Geruch besonders im Sommer in den Straßen, in denen das Abwasser offen abfloss, beklagte), und durch die Schaffung der Berufsfeuerwehr. 1848 ordnete Hinckeldey die Nummerierung von Schutzmännern an, angebracht an den Zylindern der Uniform.

Er, der bei polizeilichen Maßnahmen keinen Unterschied zwischen Bürgern und Adligen machte, regierte mit strenger Hand, gestützt durch den König und den Ministerpräsidenten von Manteuffel. So wurde die konservative Kreuzzeitung unter Beobachtung gestellt, so sehr, dass sich eine persönliche Feindschaft zum Adel entwickelte, die sich mehr und mehr hochschaukelte, und zu einem provozierten Duell zwischen Hans von Rochow-Plessow und Hinckeldey führte.

Karl August Varnhagen berichtet, dass sich die Herren von Rochow, von Prillwitz und ein weiterer Offizier verpflichteten, Hinckeldey durch Beleidigungen dazu zu zwingen, eine Forderung auszusprechen, was dann auch geschah, obwohl Hinckeldey selbst zu Beginn seiner Amtszeit Duelle verboten hatte. Insgeheim hofft er, der König würde das Duell rechtzeitig untersagen. So hielt er noch am Morgen des Duells Ausschau nach dem Boten des Königs, doch vergeblich. Er, der trotz seines Amtes keine Erfahrung mit der Waffe hatte, wurde erschossen. Rochow, zu vier Jahren Festungshaft verurteilt, wurde nach einem Jahr begnadigt. Der König schrieb hierzu am 2. April 1856 an seinen Minister Ferdinand von Westphalen: »Der Vorwurf, der mich selbst trifft, ist immer größer; denn ich wußte seit mehreren Tagen, daß es auf die Tötung Hinckeldeys abgesehen war, oder hatte wenigstens die Entschuldigung, es glauben zu können.«

»Ich fühle jetzt recht beim arbeiten, wie wichtig es selbst bei einem harmlosen Schreiben ist, vorher zu wissen für welche Zeitung man schreibt. Nicht etwa wegen Anspielungen und Arrière-Pensées [Hintergedanken], sondern einfach aus Rücksicht auf das was man von vorliegenden Details nehmen oder ausscheiden soll. Ich kann mich in der Kreuz-Ztng. über irgend einen alten Bredow oder Rochow nach Herzenslust explicieren, während dem Leser der Vossin immer noch das bewußte, abgeschossene Pistol im Ohr klingt.« So Fontane am 1. November 1859 an den Chefredakteur der Kreuzzeitung (Neue Preußische Zeitung) Tuiscon Beutner.

Hinckeldey erhält ein ehrenhaftes Begräbnis, dem Trauerzug schließen sich hunderttausend Bürger an, die, so heißt es, ihren Hass auf den gefürchteten Polizeipräsidenten vergessen hatten. Das oben genannte Denkmal für ihn wurde aufgestellt.

Fontane jedoch schreibt in einem Brief an Paul Heyse: »Ich halt’ es, wie wohl ich selber mit dazu gehört habe und selber ein Gestürzter bin, für ein sehr großes Glück, daß wir die Manteuffelsche Wirtschaft mit allen ihren Mesquinerien [Armseligkeiten] hinter uns haben und anerkenne in hohem Maaße die Segnungen, die durch endliche Beseitigung des fluchwürdigen Hinckeldeyismus, in allen Formen und Gestalten, unserem Lande, d. h. unsren innren Zuständen zu Theil geworden sind.«

Manteuffel, ein hochkonservativer Politiker, war von 1850 bis 1858 preußischer Ministerpräsident.

In einem Brief vom 14. März 1856 an Emilie Fontane schreibt Henriette von Merckel: »Mein Mann ist besonders aufgebracht auf die Krautjunker in der ersten Kammer, die Branntweinbrenner, wie er sie seit der darüber gepflogenen Debatte nennt, und ich muß gestehen, daß ich dem edeln R. [gemeint ist Rochow] mindestens auch eine Kugel in den Kopf gegönnt hätte, aber – es hat nicht so sein sollen. Doch jetzt genug, ich erhitze mich.«

Gotthard Erler faßt es so zusammen: »Das Rochow-Hinckeldey-Duell im März 1856 signalisiert einerseits etwas von der Verworrenheit preußischer Zustände und andererseits von der Vielschichtigkeit der politischen Reaktion: ein Krautjunker aus dem Herrenhaus, angeblich eines seiner ›edelsten Mitglieder‹, schießt den Berliner Polizeipräsidenten über den Haufen, der seine politische Moral nach keinen Zoll mehr taugt, gleichwohl aber zum Helden avanciert.«

Das Grab Hinckeldeys, mittlerweile ein Ehrengrab des Landes Berlin, befindet sich auf dem St.- Nikolai- und St-. Marien Friedhof an der Prenzlauer Allee.

Am 5. Mai 1884 schreibt Fontane in sein Tagebuch: »Ausflug nach der Jungfernheide, um das Hinkeldey-Kreuz aufzusuchen.« Und einen Tag später: »nach dem neuen Jacobi-Kirchhof.« Fontane schreibt an seinem Roman »Irrungen, Wirrungen«. Baron Botho von Rienäcker will die Beziehung zu Lene Nimptsch beenden, weil sie nicht standesgemäß ist. Was das bedeutet, hat Fontane im 14. Kapitel meisterhaft beschrieben.

»Hier bog das Pferd, das er schon seit einer Viertelstunde kaum noch im Zügel hatte, wie von selbst in einen Seitenweg ein, der zunächst auf ein Stück Ackerland und gleich dahinter auf einen von Unterholz und ein paar Eichen eingefaßten Grasplatz führte. Hier, im Schatten eines der älteren Bäume, stand ein kurzes, gedrungenes Steinkreuz, und als er näher heranritt, um zu sehen, was es mit diesem Kreuz eigentlich sei, las er: ›Ludwig v. Hinckeldey, gest. 10. März 1856‹. Wie das ihn traf! Er wußte, daß das Kreuz hier herum stehe, war aber nie bis an diese Stelle gekommen und sah es nun als ein Zeichen an, daß das seinem eigenen Willen überlassene Pferd ihn gerade hierher geführt hatte.

Hinckeldey! Das war nun an die zwanzig Jahr, daß der damals Allmächtige zu Tode kam, und alles, was bei der Nachricht davon in seinem Elternhause gesprochen worden war, das stand jetzt wieder lebhaft vor seiner Seele. Vor allem eine Geschichte kam ihm wieder in Erinnerung. Einer der bürgerlichen, seinem Chef besonders vertrauten Räte übrigens hatte gewarnt und abgemahnt und das Duell überhaupt, und nun gar ein solches und unter solchen Umständen, als einen Unsinn und ein Verbrechen bezeichnet. Aber der sich bei dieser Gelegenheit plötzlich auf den Edelmann hin ausspielende Vorgesetzte hatte brüsk und hochmütig geantwortet: ›Nörner, davon verstehen Sie nichts‹. Und eine Stunde später war er in den Tod gegangen. Und warum? Einer Adelsvorstellung, einer Standesmarotte zuliebe, die mächtiger war als alle Vernunft, auch mächtiger als das Gesetz, dessen Hüter und Schützer zu sein er recht eigentlich die Pflicht hatte. ›Lehrreich.‹ Und was habe ich speziell daraus zu lernen? Was predigt dieses Denkmal mir? Jedenfalls das eine, daß das Herkommen unser Tun bestimmt. Wer ihm gehorcht, kann zugrunde gehn, aber er geht besser zugrunde als der, der ihm widerspricht.«

In der Kreuzberger Chronik lesen wir: »Hinckeldey war eine Last. Er machte Adolf Glaßbrenner das Leben zur Hölle, ließ Zeitungen beschlagnahmen und verschärfte die Theaterzensur, ohne, wie das Gesetz es vorschrieb, sich dazu die Erlaubnis vom Gemeinderat einzuholen. ›Rücksichtslose Hausdurchsuchungen und ausgedehntes Spitzelwesen‹ wurden zur täglichen Polizeipraxis.«

Diese Polizeiarbeit war Teil der konservativen preußischen Politik unter Otto Theodor Freiherr von Manteuffel, der von 1850 bis 1858 preußischer Ministerpräsident war.

Fontane war seit dem 1. August 1850 Mitarbeiter im »Literarischen Cabinet«, der Pressestelle des Ministeriums Manteuffel. Einen Eindruck über Fontanes Einstellung zu dieser Tätigkeit erhalten wir durch seinen Brief an Bernhard von Lepel vom 7. Januar 1851: »Am 31ten v.M. als ich in der Schadowstraße No 4 erschien, überraschte mich die Sylvestergabe, daß das Cabinet aufgelöst und der Literat Th. Fontane an die Luft gesetzt sei. Eilig strich ich noch 40 rth. Diäten für Monat December ein und verschwand für immer aus den heiligen Hallen, in denen ich 5 mal 4 Wochen Zeuge der Saucen-Bereitung gewesen war, mit welchen das lit: Cabinet das ausgekochte Rindfleisch Manteuffelscher Politik tagtäglich zu übergießen hatte. Gott sei Dank kann ich mir nachträglich das Zeugniß ausstellen, daß von meiner Seite kein Salz- Senf oder Pfefferkorn jemals zu der Schandbrühe beigesteuert worden ist.«

Die Zeitenwende nach Manteuffel greift tief ins gesellschaftliche Leben ein. So schreibt Fontane in seiner Biografie »Christian Friedrich Scherenberg und das literarische Berlin von 1840 bis 1860«:

»Die politischen Verhältnisse, die von jenem 10. März 1856 an, wo Hans von Rochows Kugel Herrn von Hinckeldey zu Boden streckte, rapid eine neue Gestalt anzunehmen begannen, waren der Dichtung überhaupt nicht günstig, am wenigsten aber einer Reaktionsdichtung, wofür die Scherenbergsche genommen wurde, trotzdem sie’s nicht war. […Es] begann eine große Geschmackswandlung in ganz Deutschland sich vorzubereiten, und mit dem Erscheinen von Freytags ›Soll und Haben‹, welcher Roman so recht eigentlich den ›Griff ins volle Menschenleben‹ für uns bedeutete, war der entscheidende Schritt getan. Man wollte Gegenwart, nicht Vergangenheit, Wirklichkeit, nicht Schein, Prosa, nicht Vers.«

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