Fontanes Fälle

Veranstaltung des Fontane-Kreises Leipzig am 8. November 2023

Dass die S-Bahn ins dreißig Kilometer entfernte Leipzig keineswegs das Beste an Halle ist, davon werden sich die Mitglieder der Fontane-Gesellschaft auf der Jahrestagung im kommenden September überzeugen können. Am Mittwoch den 8. November gab es in Leipzig jedoch eindeutig das spannendere Unterhaltungsangebot: Beim Fontane-Kreis Leipzig referierte Dr. Maria Brosig, Mitarbeiterin am Theodor-Fontane-Archiv in Potsdam, zum Thema Whodunit. Fontane im Krimi, Fontane-Krimis.

Der Leipziger Fontane-Kreis wurde 2004 gegründet und wird demnach im kommenden Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen feiern. Die Begründerin Monika Stoye leitet den Kreis seither mit unermüdlichem Einsatz, großer Kenntnis und Begeisterung. Die gebürtige Leipzigerin organisiert und moderiert jährlich sechs Vorträge für die Mitglieder der Fontane-Gesellschaft und das literaturinteressierte Leipziger Publikum. Die Veranstaltungen finden regelmäßig an Mittwochabenden in der Hauptstelle der Städtischen Bibliotheken am Wilhelm-Leuschner-Platz statt. Das im ausgehenden 19. Jahrhundert errichtete Gebäude zählt zu prachtvollsten Gebäuden der Stadt. Es liegt in unmittelbarer Nähe einer S-Bahn-Station und der schmucken Leipziger Innenstadt mit ihren vielen Restaurants, Cafés und Geschäften, so dass sich kultureller und kulinarischer Genuss schön miteinander verbinden lassen.

Frau Dr. Brosigs Vortrag ist an diesem Abend gut besucht, etwa 50 Gäste haben sich eingefunden, um ihren unterhaltsamen Ausführungen über ein „unbeachtetes und leichtes Gebiet der Fontaneschen Rezeptionsgeschichte“ zu lauschen – „leicht“, obgleich es in den Kriminalromanen, die Brosig vorstellt, „gewalttätig zugeht, weil erdolcht, erschlagen, erschossen, vergiftet wird“. Die acht Krimis von vier Autoren – Frank Goyke, Horst Bosetzky, Wolf von Angern, Johannes Wilkes – deren Gattungsmerkmale, Plot, Figurentypologie, Motivik und Erzählverfahren die Referentin erörtert, weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf: Sie entstanden in den letzten zwei Jahrzehnten, teils im Zuge des Jubiläumsjahrs 2019; sie beziehen sich in unterschiedlicher Art und Weise auf den Autor Fontane als Person oder auf dessen Kriminalnovellen, und sie sind erkennbar als Verbeugungen vor dem Altmeister des Realismus konzipiert.

Dr. Maria Brosig am 8.11.2023 in Leipzig

Im Fall der sechs historischen Fontane-Krimis von Wolf von Angern (2) und des erfolgreichen Krimiautors Frank Goyke (4) und haben wir es laut Brosig mit biographischen Fiktionen zu tun. Das heißt, Fontane agiert darin als realhistorische Person im gesellschaftlichen Leben der frühen 1870er Jahre. Goyke reichert seine authentizitätsheischende Darstellung mit zahlreichen realhistorischen Details (Fakten, Ereignisse, Personen) an. Fontane tritt in Goykes Geschichte als „Zufallsdetektiv“ beziehungsweise Assistent der Hauptfigur, eines Kommissars namens Aschinger, auf. Obgleich dieser Fontane als nebenamtlicher „Liebhaber von Polizeiberichten“ keineswegs jeden Fall irrtumsfrei lösen kann, funktioniert Goykes Plotkonstruktion nur über Hilfskonstruktionen, so Brosig. Goykes Ansatz, Fontanes Eignung als Ermittlungshelfer mit seiner „déformation professionelle“, d.h. mit den Prägungen seiner Schriftstellertätigkeit zu plausibilisieren, beurteilte sie als „wenig glaubhaft“. Die Realitätsillusion gehe so weit, dass es unkundigen Leser:innen schwerfallen dürfte, den Fiktionsstatus der von Goyke inszenierten Ereignisse – beispielsweise eine (vermeintliche) Wanderung Fontanes mit dem Maler Adolf Menzel – zu erkennen, so Brosig.

Ähnlich unglaubhaft geht es in den konventionell erzählten Fallgeschichten des Publizisten und Autors Wolf von Angern zu. Dieser stellt seinem Kriminalinspektor, mit Namen Luis von Angern, ebenfalls Fontane als Ratgeber zur Seite. Fontane ermittelt zwar nicht selbst, ist aber dem Inspektor aufgrund seines „scharfen Verstandes“ bei der Aufklärung der Verbrechen behilflich. Vermutlich handelt es sich bei dieser autofiktionalen Konstruktion um die Erfüllung der Wunschphantasie eines Fontane-Fans, und diese ist an sich durchaus nachvollziehbar. Wer wünschte sich nicht, in der Zeit zu reisen und mit Fontane mal einen Wein zu trinken.

Gegenwartsbezogen geht es auch im Kriminalroman Der Fall Fontane (2019) des Psychiaters Johannes Wilkes zu, welchen Brosig dem Genre des „Bildungs-, Regional- und Cosy-Krimis“ zuordnet. Darin entdecken ein urlaubender Kommissar a.D. und sein Partner auf einer Radtour durch Brandenburg just unter dem Birnbaum zu Ribbeck eine Leiche. Die Ermittlungen führen nicht nur zu Brandenburger Fontane-Kultorten, sondern auch ins Umfeld realexistierender Institutionen wie dem Neuruppiner Museum oder ins Fontane-Archiv in Potsdam. Pikanterweise gerät auch die Fontane-Gesellschaft ins Visier, welche durch „ihren ein wenig zu charmanten Vorsitzenden namens Liebstöckel repräsentiert ist“. Als Mörder wird ein psychisch Kranker aus einer Neuruppiner Psychiatrie entlarvt, welcher sich allerdings als Rächer seines Mitinsassen, eines gekränkten Germanisten, entpuppt. Dieser Germanist hatte sich, so will es der Plot, zu tief in Recherchen zum (innerfiktional) missliebigen Thema der unehelichen Kinder Fontanes hineingesteigert, was ihn aus der Fontane-Gesellschaft heraus- und in die Psychiatrie hineingebracht hat. Mit dieser innerpsychologischen Motivierung der Tat hätte sich Wilkes Roman nach Brosig auch zum „Institutionen-Krimi“ entwickeln können, eine Chance, die der Autor leider ausschlug.

Im Anschluss an den Vortrag zogen die Referentin und einige Mitglieder des Fontane-Kreises in ein italienisches Restaurant um, wo man in stimmungsvoller Atmosphäre weiter über Fontane, die Qualität von Kriminalliteratur und deren Mängel philosophierte. Wie groß die Schnittmenge zwischen Fontane- und Krimi-Fans ist, lässt sich nicht ermitteln, doch schließen sich diese Interessengebiete keinesfalls aus. Und so dürften sich unter den Literaturenthusiasten wohl auch einige Leser:innen finden, die leichte Kost gelegentlich zu schätzen wissen. Gänzlich unabhängig von Geschmacks- und Meinungsfragen gehört es zu den wesentlichen Aufgaben der Fontane-Forschung, die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Werke Fontanes ohne Dünkel gegenüber populärer Kriminalliteratur der Gegenwart zu erforschen und zu dokumentieren. Davon profitieren auch andere Felder wie die Trivialliteraturforschung, die Forschung zu Trends in der Gegenwartsliteratur und die mittlerweile sehr populäre Kriminalliteratur-Forschung. Weitere Studien zu Fontanes eigenen Krimis wären nicht zuletzt vor der gattungstypologischen und gattungsgeschichtlichen Hintergrundfolie wünschenswert, die Brosig in ihrem Vortrag entfaltete. Mit Verweis auf die einschlägigen Artikel im frisch erschienen Fontane-Handbuch (Parr/Radecke/Trilcke/Bertschik 2023) wies Brosig zudem auf die vergleichsweise geringe Beachtung hin, die Fontanes Kriminalnovellen im Vergleich zu den Gesellschaftsromanen in der Vergangenheit gefunden haben. Zu den „Schwierigkeiten, Fontane im kriminalistischen Genre zu verorten“ lässt sich definitiv gewinnbringend literaturwissenschaftlich weiterermitteln.

 

 

One comment

  1. Maren Wiegmann says:

    Die Schnittmenge zwischen Fontane- und Krimilesern hat sicher eine erhebliche Dunkelziffer 🙂 Mir – langjähriges Mitglied der Fontane-Gesellschaft- fehlte in dem amüsanten Artikel der Hinweis auf die Novelle „Unterm Birnbaum“, schlechthin die Großmutter aller Kriminalromane.. 2019 wunderbar dicht am Original und behutsam modern verfilmt mit Schauspielgrößen wie Katharina Thalbach.

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