„Brief aus Berlin“ (38)

Der Theaterkritiker

Vor 150 Jahren am 19. August erschien die erste Theaterkritik Theodor Fontanes, die er für die Vossische Zeitung zu Aufführungen am Königlichen Schauspielhaus schrieb. Es ging um Friedrich Schillers »Wilhelm Tell«. Außer dem Schiller-Denkmal auf dem Gendarmenmarkt erinnert nichts mehr an das einstige Theater. Es war im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, und da die DDR ein Konzerthaus benötigte, wurde ein solches in dem nach außen originalgetreu wieder aufgebauten Schinkelbau 1984 eröffnet. Bis heute zeigt das Haus kein Interesse an seiner Geschichte als Theater.

Wir erinnern uns jedoch an den Platz Nr. 23, auf dem »das Scheusal«, wie sich der Kritiker von den Schauspielern wahrgenommen fühlte, saß. Die Theaterkritiken werden im Werk Fontanes meist stiefmütterlich behandelt, zu unrecht, wie ich meine. Sie gehören immerhin zu 20 Jahren seines journalistischen Lebens. »Meine Berechtigung zu meinem Metier ruht auf einem, was mir der Himmel mit in die Wiege gelegt hat: Feinfühligkeit künstlerischen Dingen gegenüber.« An den Tagen, an denen Fontane seine Kritiken schreibt, ist er immer in »nervöser Aufregung […] weil ich unter der Wucht der Frage stehe: kannst Du das Gesagte, – das ja immer nur der unvollkommene Ausdruck eines Gefühls, oft widerstreitender Empfindungen ist – kannst Du es auch verantworten?«

Erfreulich ist, dass die neu erschienene vierbändige Große Brandenburger Ausgabe alle Kritiken auflistet und mit kompetenten Anmerkungen ergänzt.

Meine »Lieblingskritik« ist die vom 5.3.1887. Fontane beschreib, wie sich ein junger Schauspieler, Herr Purschian, der einen Gastauftritt in Berlin hat, bei ihm persönlich vorstellt und sich gleich eine »freundschaftliche Konversation« entwickelt. »›Ein allerliebster Herr‹ sagt der Kritiker und ist aufrechten Willens, dem jungen Künstler so viel Nettes wie möglich zu sagen. Und nun endlich bricht der Abend seines ersten Auftretens an, und der Zauber ist hin und alle guten Vorsätze fallen zu Boden. Ein verkleideter Mensch tritt aus der Kulisse, schlenkert hin und her, und behauptet, der oder jener zu sein. Aber er ist nicht der und nicht jener, ja nicht einmal er selbst.«

Nur zwei Monate später lesen wir in einer Kritik Fontanes vom 6.5.1887: »Überraschend gut, und ich freue mich nach früheren Bemängelungen dies aussprechen zu können, war Herr Purschian […] ich meinerseits bin geneigt, in dieser sich zurückhaltenden Schlichtheit des Vortrags mehr Geschmack und künstlerisches Verständnis als Schwäche zu sehen.«

Eine Kritik Fontanes wirkt um so vernichtender, wenn sie mit freundlichen Worten beginnt. Eine solche He­r­an­ge­hens­wei­se Fontanes beschreibt Hans Mayer in seinem Band »Große deutsche Verrisse von Schiller bis Fontane«: »Fontane ist vergleichsweise höflicher. Keineswegs aus Scheu vor der tödlichen Pointe, wie jeder in seinen Causerien über Bühnendichter und Schauspieler nachlesen kann.«

Debora Helmer schreibt hierzu: »Sein bevorzugtes Mittel ist der Humor, dabei reicht die Skala von milder Ironie bis zu beißendem Spott oder, selten, zu gehässigen Äußerungen.«

Viele der genannten Stücke sind heute (zurecht) in Vergessenheit geraten. Auch die genannten Schauspieler in Fontanes Theaterkritiken müssen wir meist nicht mehr kennen. Die Gräber einiger, der immer wieder genannten Schauspieler, finden wir auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor. Genannt seien Theodor Döhring, einer der Bedeutendsten seiner Zeit, und August Wilhelm Iffland, noch heute bekannt durch den Iffland-Ring, der vom jeweiligen Träger des Rings an den vermeintlich besten deutschsprachigen Schauspieler vererbt wird. Zuletzt hat Bruno Ganz den Ring an Jens Harzer vererbt.

Fontanes Kritiken selbst aber, die Sprache, der Stil, sein Humor, sie machen es zum Vergnügen, die Texte noch heute zu lesen. Oder wie Popitz schreibt: die Theaterkritiken müssen »genossen« werden.

Die Eheleute Fontane

Vor 170 Jahren am 16. Oktober 1850 heirateten Emilie Rouanet-Kummer und Theodor Fontane in der Klosterkirche in Berlin. Pfarrer war, wie schon bei Theodors Konfirmation, Konsistorialrat Fournier. Ich will hier einen Blick auf Emilie und die Beziehung werfen, über die im Fontane-200-Jahr eher weniger gesprochen wurde, die aber Leben und Arbeit des Jubilars geprägt, unterstützt, ja vielleicht auch erst ermöglicht hat.

Vom 23. April bis 25.September 1852 geht Fontane als Korrespondent der »Centralstelle für Preßangelegenheiten« nach London und lässt Emilie mit dem ein Jahr vorher am 14. August geborenen Sohn George alleine in Berlin zurück. Fontane hatte sich bereits Anfang April über Aachen, Brüssel und Gent auf den Weg gemacht. Für uns interessant ist der erste (noch erhaltene) Brief nach der Hochzeit, den Emilie an Theodor, ihrem »Herzens-Mann« am 7. April 1852 schreibt. Der kleine George weckt sie morgens um 6 Uhr. »Wenn er lacht verscheucht er meinen Kummer« über die Trennung vom Mann. Dann zitiert sie Zeilen aus Fontanes Romanzen-Zyklus »Von der schönen Rosamunde«.

»Da denkt der König: ›Sei gescheit,

Und laß all trübes Sinnen!

Der Trennung Zeit ist böse Zeit,

Doch sie wird drum verrinnen.

Traun, wer nicht will von dannen gehn,

Der bringt sich selbst ums Wiedersehn –

All Leid hat seine Freude.‹«

Erschöpft schläft Emilie am Spätnachmittag für ein Stündchen und spürt beim Erwachen: »Ich war kreuzunglücklich, so riesenhaft lange kam mir die Trennungszeit vor.« Und schreibt dann: »[…] ohne Murren, will ich die Trennung sie sei noch so lange ertragen […]« Und seufzt dann: »Ach Theo, erst beim Unglück anderer, sehe ich immer dankbar gen Himmel.«

Die tiefe Liebe Emilies, das Leiden an Theodor und seinen Entscheidungen, das geduldige Ertragen wird bereits im ersten Brief nach Eheschließung sichtbar und wird in einer fast 50 jährigen Ehe bleiben.

Bei Theodor heißt es: »Wenn dieser Brief keine Liebes- und Sehnsuchtsversicherungen enthält, so suche die Gründe nicht anders als wo sie liegen.« Und wie selbstverständlich sieht er Emilies Aufgabe »wie sie sich quält den schlafenden kleine Fontane zu einer muntern Fontaine zu machen.« Wie es jedoch zu Hause in Berlin aussieht, zeigen die Worte Emilies: »George sieht ganz ernst aus, wenn ich frage: wo ist Papa?«

Der erneut schwangeren Emilie schreibt er kurz vor der Geburt: »Ich habe Dir eigentlich, außer den herzlichsten Wünschen für Dein und unsres Kindes Wohl, gar nichts mitzuteilen.« Am 2. September wird Sohn Rudolph geboren. Fontane schreibt aus London: »Wenn Du diese Zeilen erhältst, ist vielleicht das kleine Mädchen, das übrigens, wenn meine Ahnungen mich nicht trügen ein Junge ist – schon eingesprungen. Ich will es von Herzen wünschen, denn es scheint mir besser diese nicht vergnüglichen 24 Stunden hinter sich zu haben. Mögen Gott, geschickte Hände und freundliche Herzen Dir zur Seite sein.« Lassen wir diese Zeilen für sich sprechen.

Emilie teilt in einem Brief vom 16. Sept. den Tod des Kindes mit. »Daß ich Dir heute schreiben muß, anstatt zu Dir reden zu können, wird mir auch schwer, aber der liebe Gott prüft mich sehr mein Theo, u. oft habe ich in diesen Schmerzenstagen jammernd meine Hände nach Dir ausgestreckt u. nur in ruhigen Augenblicken Gott gedankt, daß ich Alles für Dich mit habe tragen können. Ja, mein einziger Herzensmann ich leide viel […].«

So ist bereits in den Briefen der ersten Ehejahre die ganze Zeit der Ehe vorgezeichnet. Selbst wenn die Verstimmung über ihren Theo mal anhält, kommt der Zeitpunkt, wo Emilie vergibt und sich ganz in ihren Mann einfühlt. Wir denken an die Kündigung seiner Beamtentätigkeit als erster Sekretär der Königlichen Akademie der Künste nach nur zwei Monaten im Amt und ohne Absprache mit Emilie im Jahr 1876. Erst zwei Jahre später hat Emilie Theodors Verhalten akzeptiert, denn sie schreibt ihm am 18. Juni: »Ich freu mich so auf Dich, dass die Redensart der alten Sohm, ›das Herz bleibt immer jung‹ die ich so oft belacht habe, sich an mir rächt. Mir klopft das Herz vor Freude, bei dem Gedanken, Dich wiederzusehen. Laß es Dir gut gehen Du lieber Sekretär a.D.; es war ein böser Titel. Lächerlich an sich, für Dich – unter der Würde. Nein, wir wollen nun Th. F. leben und sterben. Hoffentlich gemeinsam u. gesund noch lange das erstere. Deine alte getreueste Frau.«

In seinem letzten Brief an Emilie an seinem Todestag schreib Fontane über jemanden, dessen Frau gerade gestorben ist: »[…] dieser Trauernde wartet das Trauerjahr nicht ab […]. So geht es. Und die Witwen sind noch flinker als die Witwer!« Nochmals: Lassen wir diese Zeilen für sich sprechen.

 

Eine Frage an die Leser: Weiß jemand, wo August Fournier begraben wurde und ob es das Grab noch gibt? Die Französische Gemeinde konnte mir nicht weiterhelfen.

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