Theodor Fontane und der Chemiker Heinrich Rose

Von Martin Lowsky

Die drei Brüder Wilhelm Rose (1792–1867), Heinrich Rose (1795–1864) und Gustav Rose (1798–1873) waren die Söhne des renommierten
Berliner Pharmazeuten Valentin Rose (1762–1807). Alle drei haben sich,
wie ihr Vater, den Naturwissenschaften gewidmet. Theodor Fontane stand in enger
Beziehung zu Wilhelm Rose, dem Apotheker und gelegentlichen
Reiseschriftsteller. In dessen Apotheke „Zum weißen Schwan“ in Berlin, Spandauer Straße, hat er
1836 seine Lehre begonnen. Dort ist er auch mit Gustav Rose
zusammengetroffen, der oft zu Gast bei seinem Bruder Wilhelm war. Noch im Alter erinnert sich
Fontane, wie er schreibt, an „Prof. Gustav Rose und Frau (geb. Frick) die
mitunter täglich in der Roseschen Apotheke waren“1. Gustav Rose war ab 1826 Professor für Mineralogie und Geognosie an der Berliner Universität. Er unternahm Forschungsreisen; im Jahre 1829 war er bei der bis nach Sibirien führenden Russland-Expedition Alexander von Humboldts mit dabei. In Daniel Kehlmanns Roman Die Vermessung der Welt (2005),
dem viel gelesenen Werk über den damaligen wissenschaftlichen Aufschwung, tritt Gustav Rose auf.

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Sehr verbreitetes Porträt Heinrich Roses; es geht zurück auf eine Zeichnung von Conrad (?) L’Allemand

Zu Heinrich Rose, dem Chemiker! Er wurde 1822 Dozent für Chemie an der Berliner Universität, 1835 dort Lehrstuhlinhaber. 1829 erschien sein Handbuch der analytischen Chemie, das mehrere Auflagen und Übersetzungen ins Französische und
Englische erlebte. 1844 machte ihn seine Entdeckung des Elementes Niobium
weltberühmt. Interessant für uns ist noch: In den 1820er Jahren hat er
vertretungsweise an der Berliner ‚Gewerbeschule’ Chemie unterrichtet.2 Es ist die Schule, die Theodor Fontane von 1833 bis 1836 besucht und an
der er die Mittlere Reife erworben hat. Die ‚Gewerbeschule’ würde man
heute als ein naturwissenschaftlich ausgerichtetes Gymnasium bezeichnen.
Sie hat Fontane geprägt; er hat sich sein Leben lang sein Interesse an
den Naturwissenschaften bewahrt, vor allem an der Botanik und der Chemie. Er hat Heinrich Rose bewundert. Denn für einen Eintrag im Brockhaus schrieb er im Jahre 1883 eine biografische Selbstdarstellung3, die diesen Satz enthält
(Fontane spricht von sich in der dritten Person): „Er hörte mehrere Jahre Chemie
bei Heinrich Rose, dessen Vorlesungen und Persönlichkeit ihn interessirten.“
Offenbar war es Fontane wichtig, seine Bewandertheit in der Chemie publik zu machen und
den Namen Heinrich Rose anzuführen. Doch was ist der wahre Kern dieser
Aussage? War Fontane wirklich Hörer oder Schüler von Professor Heinrich Rose?

Sollte Fontane sich als Gasthörer, als eine Art ‚zeitweiliger
Student’ in Heinrich Roses Vorlesungen an der Universität begeben haben? Dies suggeriert
Fontanes Formulierung. Peter Goldammer sagt hierzu: „Es ist natürlich nicht
auszuschließen, daß Fontane gelegentlich in Heinrich Roses Kolleg gesessen hat“4. Aber es ist
unwahrscheinlich, denn sonst ist von einem ‚Universitäts-Gasthörer’ Fontane nie
gesprochen worden, weder von ihm noch von anderen.

Sollte Fontane in seiner Zeit als Gewerbeschüler Unterricht bei
Heinrich Rose gehabt haben? Rose war nie an der Gewerbeschule fest angestellt, doch
man weiß – wie bereits erwähnt –, dass er in den Jahren vor Fontanes Eintritt
dort vertretungsweise Chemie unterrichtet hat. Falls er auch noch zu Fontanes Zeit
Vertretungen übernommen hat, ist denkbar, dass Fontane bei ihm Unterrichtsstunden gehabt
hat.

Nun die dritte Möglichkeit, die wahrscheinlichste: An der Gewerbeschule
fanden Vorträge statt – zeitweise zweimal wöchentlich –, wobei die
Referenten im Allgemeinen die Lehrer der Schule waren. Solche Vorträge, die ‚öffentliche
Vorlesungen’ genannt wurden, waren schon seit Jahrzehnten eine Tradition an
den Berliner höheren Schulen. Bekannt ist, dass der Chemiker Friedrich Wöhler, Lehrer
dieser Schule, in den Wintern 1825/26 bis 1830/31 solche ‚Vorlesungen’ gehalten
hat. Franz Kugler war einer seiner Zuhörer.5
Es liegt nahe, dass auch Professor Heinrich Rose
solche öffentlichen Vorlesungen an der Gewerbeschule gehalten hat. Der
Schüler Fontane kann dort einige Male oder sogar regelmäßig sein Zuhörer gewesen
sein. Seine Formulierung: „hörte mehrere Jahre Chemie bei Heinrich Rose“
passt einigermaßen zu diesem Gedanken, wenngleich sie, was Fontane beabsichtigte,
eher an Vorlesungen der Universität denken lässt.

Wir müssen noch auf den ‚Sachautor Fontane’ achten. Fontane hat
im Jahre 1860 die Artikel Heinrich Rose und Gustav Rose für das biografische Lexikon Männer der Zeit verfasst.6 Fontane nennt hier Heinrich Rose den „Vater der analytischen
Chemie“ und legt sachkundig dar, dass ohne Heinrich Rose die Forschungen
eines Justus von Liebig nicht denkbar gewesen wären. Fontane hat sich für diese
Lexikonbeiträge gut in die Materie eingearbeitet, Chemie war eben eine seiner
Lieblingswissenschaften. Zusätzlich hat er sich von Heinrichs Bruder Wilhelm Rose, der,
wie erwähnt, Fontanes Lehrherr gewesen war, im April 1860 Informationen geben lassen;
dies ergibt sich aus einem Schreiben Wilhelms an Fontane.7

Die ersten Zeilen aus Fontanes Heinrich-Rose-Artikel in den Männern der Zeit, geschrieben 1860 und veröffentlicht 1862, geben wir hier wieder.
Sie enthalten eine kleine Pointe:

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Nein, es muss heißen: ‚berühmten Mineralogen Gustav Rose’. Fontane hat irrtümlich statt Gustav den Namen Wilhelm Rose geschrieben, den Namen des
Apothekers, der nicht berühmt war und den er sein Leben lang wenig geschätzt
hat. Der Irrtum steht nicht allein: Im Verlaufe seines Romanentwurfs Allerlei Glück verwechselt er die Vornamen seiner Figuren Heinrich und Wilhelm Brose; einer
von ihnen ist Professor.8 Diese Fehlleistung Fontanes, diese Verwechslung zweier Brüder,
zeigt aufs Schönste das, was die Forschung als seinen wunden Punkt9 bezeichnet: Wie gern wäre er, statt Lehrling bei Wilhelm Rose, ein Jünger der
Wissenschaft bei berühmten Naturwissenschaftlern, bei
Heinrich oder Gustav Rose, gewesen!

1 An Georg Friedlaender, 9. 11. 1892. In: HFA IV/4, S. 232f.
2 Ich beziehe mich auf den Satz bei Teichmann: „Heinrich Rose
hatte bereits vor Wöhlers Eintreffen [an der Gewerbeschule 1825] dessen Lehrerstelle
interimistisch wahrgenommen.“ (Herbert Teichmann: Friedrich Wöhler als Berliner Lehrer und
Forscher.
In: Sitzungsberichte der
Leibniz-Sozietät
52 (2002), S. 87–112, hier
S. 108)
3 Der Text, lange Zeit unbekannt, ist wiedergegeben bei: Peter
Goldammer (Hrsg.): Fontane-Autographen aus dem Archiv des Verlages
F. A. Brockhaus.
In: Fontane Blätter 61 (1996), S. 27–39, hier S. 30f., Faksimile S. 28f. Wie Goldammer darlegt,
hat die Brockhaus-Redaktion Fontanes Text in die 13. Auflage (1883) übernommen, aber ihn
stark bearbeitet und den Satz über Heinrich Rose gestrichen. Inzwischen ist dieser Satz
in die Forschung eingegangen; etwa in: Helmuth Nürnberger: Fontanes Welt. Berlin 1997, S. 63.
4 Goldammer, wie Anm. 3, S. 33.
5 Siehe Teichmann, wie Anm. 2, S. 99–101.
6 Männer der Zeit.
Biographisches Lexikon der Gegenwart.
Leipzig
1862, Bd. II, Sp. 269f. (Gustav Rose), Sp. 332 (Heinrich
Rose
).
7 Siehe die Hinweise von Wolfgang Rasch in: Wilhelm Rose: Aus der Schweiz. Hrsg. von Wolfgang Rasch. In: Fontane Blätter 74
(2002), S. 28-47, hier S. 29, sowie bei Roland Berbig: Theodor Fontane Chronik. Bd. 2. 1858-1870. Berlin/New York 2010, S. 1046.
8 Theodor Fontane: Allerlei Glück.
In: HFA I/7, S. 255-313; hier S. 255f., 262.
9 Vgl. etwa Peter Wruck: Die „wunden Punkte“ in Fontanes Biographie und ihre autobiographische
Euphemisierung.
In: Fontane Blätter 65-66 (1998), S. 61-71.

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