George Fontanes Weg zum „Hunde-Simson“

Von Edith Krauß

Hektor, Boncoeur, Rollo: den vielen prächtigen Hundegestalten
zum Trotz, die in Theodor Fontanes Romanen eine nicht nebensächliche und
immer liebenswerte Rolle spielen1, hat es in der Fontanefamilie selbst wohl keine Neigung gegeben, sich einen solchen Hausgenossen zuzulegen. Weder im
Elternhaus, noch in der eigenen Familie, auch später in den Familien der jungen
Fontanes ist irgendwo von einem Hund als Haustier die Rede.

Mit einer Ausnahme: durch das kurze Leben des ältesten
Fontanesohnes George zieht sich die Spur einer emotionalen Beziehung zum vierbeinigen
Kameraden, die sich aus Furcht und Neigung schließlich zur Tierliebe entwickelt.

Am Anfang sieht es gar nicht danach aus. In einem Brief
(2.12.1856) an Fontane in England berichtet Henriette v. Merckel, die sich in Berlin um
Frau Emilie und die beiden kleinen Söhne in rührender Weise kümmerte, über den
Fünfjährigen: „George wird in Gestalt und Wesen jetzt recht nett; […] Aber die
Furchtsamkeit ist noch eine große Klippe bei ihm.“ Ihre Beobachtung geht vermutlich auf eine
ängstliche Begegnung des Jungen mit einem Hund zurück, denn der Vater
antwortet (12.12.1856): „Daß Sie sich seiner so annehmen, ihn anregen, ihn bei der
Ambition fassen, […] dafür bin ich Ihnen außerordentlich dankbar. Daß er kein Held ist, ist
mir […] ziemlich gleichgültig. […] Mit Gespenstern, Hunden und Truthähnen hab
ich noch bis diesen Tag nicht gerne was zu tun, wie kann ich von dem boy verlangen,
daß er den Hunde-Simson spielt!“2

Dabei hatte Klein-George im Jahr zuvor schon einmal eine
Mutprobe mit dem Hofhund César des Gutes Neuhof tapfer – wenn auch mit etwas
kläglichem Ausgang – bestanden.

Im Herbst 1855 nahm Emilie die Gastfreundschaft ihrer Freundin
Johanna Treutler an, um sich auf dem schlesischen Gut bei Liegnitz, nach einer
Entbindung und Verlust des Kindes wenige Tage später, gesundheitlich zu erholen. Sie
ist bemüht, den wieder in London weilenden Gatten und Vater am Aufwachsen ihres –
derzeit noch – Einzigen teilhaben zu lassen und schreibt am 2.10.1855: „Unser
Junge macht mir unendliche Freude, obgleich er hier in seiner Ungebundenheit
auch sehr flegelig wird. Eine kleine Geschichte von heut kann ich Dir aber doch
nicht vorenthalten. Er kam heulend u. schreiend zu mir, weil ihm ein kleines Unglück in
die Hosen passirt war. Während ich scheltend ihn entkleide u. frage, wie ist denn
das gekommen, antwortet er ganz naiv: ‘ich wollte den César bepinkeln‘ das ist nämlich
der große Hofhund, sein Liebling; denke mal, ob ein kleiner Aristokrat,
wie z.B. Franz v. Lepel wohl auch auf solche liebenswürdige Ferkeleien verfällt?“3

Die nächste Hunde-Episode erzählt der inzwischen herangewachsene
George selbst in seinen Feldpostbriefen an die Eltern.4 Im Sommer 1970 wurde der
frischgebackene Fähnrich direkt von der Kriegsschule an die deutsch-französische
Front geschickt. „Getreu seinem Versprechen“ berichtete er – wenn auch nicht
täglich, doch in insgesamt 82 Briefen während des Kriegsjahres – seine
Erlebnisse nach Hause. „In Grimancourt war es sehr hübsch. Zum Schluß schenkten (?) mir
die Leute einen sehr schönen Jagdhund; zuerst wollten sie 25 Franken dafür haben“,
schreibt er am 24. August. Das Fragezeichen läßt an der Freiwilligkeit des
Geschenks zweifeln, denn „requirieren“ gehörte schon damals zum üblichen Kriegsbrauch.
Zwei Tage später ergänzt er: „Alles schafft sich Hunde an. Nach und nach kommt alles noch
auf den Hund. Meiner ist sehr hübsch, sehr anhänglich und der stärkste im Bataillon,
was verschiedene Bißwunden bezeugen.“ Zwei Wochen später, am 10. September, kann
George den Eltern melden: „Es geht mir gut; ich bin gestern Offizier
geworden“ und unterschreibt gleich den nächsten Brief mit „George Fontane,
Seconde-Lieutenant im 2. Magdeb. Inf.=Rgt.“. Der vierbeinige Kamerad begleitet den
glücklichen jungen Leutnant, der nun „als Zugführer ziemlich viel zu tun“ hat, bei
anstrengenden Eilmärschen und Kneipgängen an Ruhetagen, teilt mit ihm „brillante
Quartiere“ und „furchtbare Biwaks“, leistet Gesellschaft bei Nachtwachen „zur
Bedeckung der Bagage“ und auf Vorpostenstellungen. Aber lange währte das
Miteinander nicht. Schon Ende September erfuhren die Eltern aus Villers le Bel: „Sowie
wir morgen von Vorposten zurückkehren, schreibe ich Euch, wie es mir geht.
Mein hübscher Hund ist bei dem letzten Vorpostengefecht leider erschossen
worden. Friede seiner Asche. In Paris werde ich mir einen andern kaufen. Er hieß
Tambeau.“

In dieser etwas flapsig wirkenden Form kompensiert George
offenbar den Verlust, indem er den Wunsch nach einem neuen Hund an seinen
Herzenswunsch, endlich siegreich in Paris einzuziehen, anbindet. Wie und wann er sich
in seinem späteren Leben diesen Wunsch erfüllte, lässt sich nicht mehr feststellen,
da von diesem Fontanesohn alle weiteren Selbstzeugnisse in Form von Briefen
oder Tagebüchern verloren gingen. Erst gegen Ende seines Lebens, als er Hauptmann
und Lehrer an der Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde geworden war,
geheiratet hatte und dort in der Robert’schen Villa einen eigenen Hausstand besaß, war
noch einmal ein eigener Hund vorhanden. Davon erfahren wir eher beiläufig im
Jahr nach George Fontanes unverhofft frühem Tod aus einem Brief Theodor Fontanes.5 Im Sommer 1888 war ein gemeinsamer Familienurlaub auf der Brotbaude im
schlesischen Krummhübel geplant, auch Georges junge Witwe Martha und ihre Schwester Emma
waren eingeladen. Im Vorfeld schrieb Fontane am 7. Juli 88 an seine Tochter, die
zum Quartiermachen vorausgefahren war:

„Meine liebe Mete.

Wann Dich diese Zeilen erreichen, steht dahin, denn die „Brotbaude“,
die ich nun großartig als Adresse angegeben, gehört vielleicht gar nicht zu
Krummhübel und wird möglicherweise von Arnsdorf aus belaufen. Jedenfalls wirst
Du beide junge Damen längst begrüßt haben, wenn diese Zeilen bei Dir
eintreffen.

Am besorgtesten machte mich Fips und ich gab dieser Sorge auch
Ausdruck, was unsrer lieben Martha, glaub ich, nicht lieb war. Denn sie hört
schon so viel Quängeleien über den Hund und denkt vielleicht, er ist einem
(soll heißen: auch mir) im Wege. Keineswegs. Ich habe ein großes Attachement an das
amüsante Biestchen und mag ihn als Erbstück von George nicht missen, aber
er ist eine Gêne, damit muß man sich einleben, und bei manchen Gelegenheiten, wie
z.B. bei solcher Reise, steigert sich die Gêne, die er auferlegt. Bitte, sage
Schwiegertöchterchen das, damit sie nicht glaubt, ich sei mit unter den Verschworenen
gegen Fips; ganz im Gegentheil.“

Der Brief sagt aus, dass zur Hinterlassenschaft Georges ein Hund
gehörte, dem seine Witwe unzertrennlich anhing, der von der übrigen Familie aber
eher als Zumutung (Gêne) empfunden wurde. Leider sagt er nichts aus über Rasse,
Größe, Aussehen. Ein Neufundländer wie in Fontanes Romanen wird das „amüsante
Biestchen“ sicher nicht gewesen sein. Theodor Fontane hat diesem Fips (von dem
nicht nur Willibald Schmidt, sondern wohl auch er selbst nicht genau wusste, wie er
sich eigentlich schreibt: „f oder ph? Phips mit ph ist englisch, also vornehmer“)
im 6. Kapitel seines Romans Frau Jenny Treibel ein literarisches Denkmal gesetzt. Er ist dort „ein reizender, schwarzer Pudel“, der überaus anhängliche Begleiter
des Zeichenlehrers in Professor Schmidts „Abend“-Runde und in seiner unbeirrbaren
Liebe und Treue Symbolfigur und Gegenstück zu manchem menschlichen
Handlungsträger dieser Berliner Bourgeois-Geschichte.6

1 Vgl. Rolf Zuberbühler, Ja, Luise, die Kreatur, Niemeyer
Verlag, Tübingen 1991
2 Gotthard Erler, Die Fontanes und die Merckels, Aufbau-Verlag GmbH, Berlin und Weimar 1987
3 Gotthard Erler, Der Ehebriefwechsel,
Bd. 1, Aufbau-Verlag GmbH, Berlin 1998
4 George Fontane, Feldpostbriefe1870-1871,
Verlag Friedrich Fontane u. Co., Berlin 1914
5 Regina Dieterle, Ein Familienbriefnetz,
Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002
6 Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel,
Nymphenburger Verlagsbuchhandlung GmbH, München 1968

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