Neue Bücher und Texte

Mit Beiträgen von Martin Lowsky u.a.

Oliver Sill: Theodor Fontanes
Romanwelt. Eine Annäherung in Wort und Bild. Münster: Edition Octopus 2012 (17,80 EUR)

Fontanes Epik ist ein großer, in der Lesefreude zu genießender
Kosmos, in dem die menschlichen Schicksale „in virtueller Gleichzeitigkeit“
verbunden sind. Diesen Gedanken stellt Oliver Sill dar, indem er
ausführlich zitiert, Interpretationen in unkomplizierter, einfühlsamer Sprache
entwickelt und Fotos aus der Natur und von Kulturstätten in der Natur beigibt. Das ‚Menschliche’
wird damit zum roten Faden des Buches, in den Kapiteln ‚Männerwelten’ und ‚Frauenwelten’ und auch im Eingangskapitel ‚Welten erzeugen’. Dieses behandelt
Fontanes Zuwendung zum Leser, der von ihm gelenkt wird, „ohne  bevormundet
zu werden“. Fontanes Schaffensprozesse orientieren sich am Mitmenschen. Man
liest hier viele originelle Beobachtungen; so über die Gegenwärtigkeit des
Utopischen, selbst wenn Fontane den Verfall andeutet, über den Einfluss der Dialoge und
des Ausbleibens von Dialogen (das Effi erleiden muss) oder über Fontanes Hochachtung
für die biblischen Gestalten Eva und Magdalena. Wenn Sill Mathilde Möhring in ihre
alten Fesseln „zurückgeworfen“ sieht oder wenn er Lene (aus Irrungen, Wirrungen), die Kunststickerin von Format, beruflich abqualifiziert, folgt er Irrtümern der
Sekundärliteratur. (Lo)

Richard Faber: „ … der hebe den ersten Stein auf sie.“
Humanität, Politik und Religion bei Theodor Fontane.Würzburg: Königshausen &
Neumann 2012 (24,80 EUR)

Faber versammelt und bewertet Fontanes Aussagen über Christentum
und Sozialdemokratie, Humanismus und Aufklärung. Die Studie macht
deutlich, wie undogmatisch Fontane dachte und wie offen er gegenüber den
verschiedenen Morallehren war und wie er andererseits manches ‚Fortschrittliche’
als utopisch ablehnte. Zitiert werden antijüdische Polemiken Fontanes, aber
auch seine große Lehrerzählung – im Stile Johann Peter Hebels, wie Faber
herausstellt – über den Rabbi von Stendal und sein Leiden (in Fünf Schlösser). Hier eines der Resümees Fabers, wobei der etwas hastige und fremdworterpichte Stil für
ihn typisch ist: „Fontane war in politicis kein vollgültiger Humanist oder, um zu
spezifizieren, wie anachronistisch auch immer: Als Sympathisant, gar Aktivist von ‚Amnesty International’ ist er kaum
vorstellbar gewesen“. (Lo)

Klaus Peter Dencker (Hg.):Wörterwechsel. Poetische Sprachspiele.
Stuttgart: Reclam 2012 (7,95 EUR)

Über einhundert originelle Sprachspiele enthält der Band: vor
allem Unsinnsgedichte, geometrische Wort-Anordnungen, Buchstabenverdrehungen und Muster
aus Piktogrammen und Silben – wunderbare Beispiele des schöpferischen Umgangs mit
der Sprache. „b. w. = bitte wegschmeißen“ und „Ms. = Miststück“
steht hier (Ulrich Erckenbrecht), und die Vokabeln jemand/einer/keiner/niemand
werden unter dem Titel „Denunzianten“ durcheinander gewirbelt (Johann P. Tammen).
Von Fontane erscheint das Drum-Gedicht aus seinem Ehebriefwechsel: „Und ging auch alles um und um …“. Ein Clou ist, dass wir hier sogar auf Fontanes
Deutsch-Lehrer Philipp Wackernagel (1800-1877) treffen. Von ihm stammt eine halb
ernste, halb lustige Sprichwörter-Liste in
ABC-Reihenfolge. (Lo)

Dreckige Laken. Die Kehrseite der ‚Grand Tour’. Hg. v. Joseph
Imorde und Erik Wegerhoff. Berlin: Wagenbach 2012 (12,90 EUR)

Über den Italien-Reisenden Fontane sind wir gut informiert dank
der Veröffentlichung von Fontanes Reisetagebüchern
und des Tagungsbandes Fontane und Italien (besprochen in den ‚Mitteilungen’ 43, S. 63, bzw. 42, S. 73f.). Was
erwartete der Italien-Tourist, was erlebte er dann wirklich und in welche Fallen
tappte er? Dies ist das Thema dieser neuen Aufsatz-Sammlung. In einem frischen und
gelegentlich spöttischen Stil wird eine Kulturgeschichte der Südeuropa-Reisen entfaltet.
Den Fontane-Freunden sind besonders zu empfehlen die Essays von Golo Maurer
und Joseph Imorde, die das zunehmend negative Italien-Urteil der Deutschen
im 19. Jahrhundert erörtern. Die Touristen bestaunten die erhaltenen Kunstwerke und
meinten zugleich, dass „die Kultur der alten romanischen Völker im Niedergang begriffen“
sei. (Lo)

Andrea Polaschegg und Daniel Weidner (Hg.): Das Buch in den
Büchern. Wechselwirkungen von Bibel und Literatur. München: Wilhelm Fink
2012 (49,90 EUR)

Ein hochkarätiger Sammelband, in dem auch Fontane präsent ist!
Da die Bibel als ‚das Buch der Bücher’gilt, kommt eine Literaturwissenschaft, die sich
mit der Bibel befasst, „gewissermaßen zu sich
selbst“, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung sagen. Und doch ist es höchst schwierig, biblische Passagen
literaturwissenschaftlich zu deuten, denn es sind extravagante Texte, in denen die
Allwissenheit eine besondere Rolle spielt und in denen, jedenfalls für die engagiertesten
Leser, der religiöse Gehalt das Wertvollste ist. Mit dieser Problematik, in der
Literaturkritik, Theologie und Glaubenspraxis zusammentreffen, setzt sich der Band produktiv
auseinander. Einige Aufsätze behandeln die Einwirkung der Bibel auf die erzählende
Literatur; in einem, verfasst von Friedmar Coppoletta, geht es um Fontanes Unwiederbringlich. Fontane, erfahren wir, greife auf die Praxis der Losungen der Herrnhuter
zurück und entwickele in den Diskussionen, die er der frommen Christine aufzwingt,
einen „bibelrhetorischen Wettstreit“. Dieser steuere die Handlung; er beruhe
gleichermaßen auf dem gewöhnlichen Bibelwissen und dem herrnhutischen Bibelvertrauen. (Lo)

Theodor Fontane – Dichter des Übergangs: Beiträge zur
Frühjahrstagung der Theodor Fontane Gesellschaft 2010. Hg. von Patricia Howe.
Würzburg: Königshausen & Neumann 2013 (29,80 EUR)

Dieser Band aus der Reihe Fontaneana (Bd. 10)
vereint die Vorträge, die im Rahmen der Frühjahrstagung der Theodor Fontane Gesellschaft vom 14.-17.
April 2010 in London gehalten wurden und jüngeren Fontane-Forschern
Gelegenheit bieten sollte, ihre Arbeit vorzustellen:

  • F. Coppoletta : Über die erzähltstrategische Funktion von
    Bibelbezügen innerhalb der Affektnarration in den Apologien der Ehebrecherinnen
    Melanie, Cécile und Effi
  • E.-M. Broomer: Weibliche Heilige in Fontane, ein rein
    dekoratives Phänomen?
  • M. J. White: Theodor Fontanes Übersetzung von Shakespeares Hamlet
  • B. Schofield: „Die Historie rückwärts durchmessen“.
    Geschichtsbilder und Geschichtsauffassungen bei Theodor Fontane und Gustav Freytag
  • T. Eisentraut: Alter und Komik in Theodor Fontanes erzählter
    Komödie Frau Jenny Treibel
  • E. Schonfield: Wirtschaftlicher Strukturwandel in Theodor
    Fontanes Der Stechlin
  • M. Klemm: Die Bedeutung der Verkehrsmittel in Theodor Fontanes
    Der Stechlin
  • J. S. Happ: „Die Décadence ist (wieder) da“. Fontane und die
    literarische Dekadenz im deutschsprachigen Fin de siècle
  • J. Kittelmann: Fontanes Berichte aus England im Kontext des
    zeitgenössischen Kunst- und Reisefeuilletons
  • A. Cusack: „Civibus aevi futuri“: Geschichtsschreibung als
    Panorama in Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg
  • N. Hoffmann: Weitblick, Künstlerauge und Spektralanalyse.
    Malerei- und photographieanaloge Wahrnehmungsweisen in Theodor Fontane Cécile
  • H. Chambers: Charlotte Jolles. Ein Leben für Fontane. Gesammelte Aufsätze und Schriften aus sechs
    Jahrzehnten.
    Buchpremiere, 16. April
    2010 (Red.)

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