Von Georg Bartsch
Auf meinem Weg von der S-Bahn am Potsdamer Platz rüber zur Philharmonie passiere ich seit Jahren den Kemperplatz, ohne ihn als solchen zu beachten. Er erinnert an Johann Wilhelm Kemper, der das Wirtshaus Kempers Hof unterhielt, in dem 1824 der Architekten-Verein zu Berlin gegründet wurde. Auch die noch heute existierende „Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin“ traf sich hier. Der Platz ist heute kaum noch als solcher zu erkennen, wiewohl die schlanken, weißen Pappeln, die hier in kleinen Gruppen stehen, ihn neben dem mächtigen Sony Center würdevoll gestalten. Schauen wir also auf Geschichte und Wandel des Ortes. Ursprünglich begannen wohlhabende Bürger ab Mitte des 19. Jahrhunderts hier am Rande der Stadt Villen zu bauen. Zu den ersten zählte bereits um 1800 August Wilhelm Iffland, der Direktor des Königlichen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt.
Der Wrangelbrunnen, der einst in der Mitte des Platzes stand, wurde 1877 aufgestellt. Im nicht einmal zehn Jahre später entstandenen achten Roman Fontanes Cécile (Kapitel 18) macht Gordon bei einem Spaziergang einen Umweg: „Diesmal nahm er seinen Weg am Wrangelbrunnen und der Matthäikirche vorbei, welchen Umweg er nur der längeren Vorfreude halber wählte.“
Und in Fontanes nächstem Roman Irrungen,Wirrungen begegnen wir im Kapitel 14 Botho von Rienäcker: „Er setzte sein Pferd wieder in Trab und hielt sich noch eine Strecke hart an der Spree hin. Dann aber bog er, an den in Mittagsstille daliegenden Zelten vorüber, in einen Reitweg ein, der ihn bis an den Wrangelbrunnen und gleich danach bis vor seine Tür führte.“
An der Ecke der Bellevuestraße hat Fontane 1850 im Lokal „Bei George“ seine Hochzeit gefeiert. „Ich habe viele hübsche Hochzeiten mitgemacht, aber keine hübschere als meine eigne. Da wir nur wenig Personen waren, etwa zwanzig, so hatten wir uns auch ein ganz kleines Hochzeitslokal ausgesucht, und zwar ein Lokal in der Bellevuestraße – schräg gegenüber dem jetzigen Wilhelmsgymnasium –, das ‘Bei Georges’ hieß und sich wegen seiner ‘Spargel und Kalbkoteletts’ bei dem vormärzlichen Berliner eines großen Ansehns erfreute.“
In den 1890er Jahren erwähnt der nun alte Fontane den Brunnen, der ja in der Nähe seiner Wohnung in der Potsdamer Straße 143c lag, mehrmals. 1894 in einem Brief an Maximilian Harden: „Aber nun, ein abgeklapperter 74er, habe ich den Hang auch auf diesen Lorbeeren auszuruhn. Zudem, was kann noch gesagt werden? Ich müßte Sie schlecht kennen, wenn Sie nicht innerlich auch dächten: es ist genug. – Der Wrangelbrunnen hält seinen Winterschlaf und wird erst im April oder Mai wieder lebendig. Auch der Bismarckbegeisterungsbrunnen hat für eine Weile genug gespien und die Maitage, wo´s wieder frisch damit losgehen kann, gehören der Zukunft an.“ 1896 schreibt Fontane an Marie Sternheim: „Statt dessen sitze ich in der Potsdamer Straße, habe von schöner Natur (weil es zu kalt ist) nicht mal den Fünfpfennig-Klappstuhl am Wrangelbrunnen und bin vorläufig auf Waren vertröstet, wohin am Donnerstag mit Mann und Maus aufgebrochen werden soll.“ Und wenige Monate vor seinem Tod schreibt Fontane von einem Aufenthalt im Sanatorium Weißer Hirsch bei Dresden: „Wir sind schon 14 Tage hier und waren noch nicht einmal in Dresden, kommen vielleicht überhaupt nicht hin, da das Stillsitzen uns am meisten behagt. Also ganz Fortsetzung unseres Berliner Lebens, das sich um Wrangelbrunnen und Luiseninsel herum abspielt.“
Auf dem Kemperplatz am Ende der vom Königsplatz kommenden Siegesallee ließ Kaiser Wilhelm II. 1902 den monumentalen Rolandsbrunnen errichten. Dazu musste der Wrangelbrunnen weichen, wurde in Kreuzberg nicht etwa im Wrangelkiez, sondern im Graefekiez an der Ecke Urbanstraße und Grimmstraße wieder aufgestellt. Der Rolandsbrunnen überlebte den 2. Weltkrieg nicht. Der Wrangelbrunnen steht noch heute in alter Pracht. (Wir machen uns mit dem Bus auf den Weg vom Potsdamer Platz in die Urbanstraße.) Die unter zwei überlaufenden Schalen inmitten des Beckens befindliche Personengruppe stellt die Personifikation der zur Entstehungszeit des Brunnens in Preußen befindlichen großen Ströme dar: den Rhein, die Weichsel, die Elbe und die Oder. Der Neptunbrunnen gegenüber dem Roten Rathaus übrigens symbolisiert ebenfalls diese vier Ströme.
Der nach dem Generalfeldmarschall Friedrich von Wrangel benannte Brunnen wurde vom Bildhauer Hugo Hagen entworfen. Freiherr von Wrangel wurde von Fontane zunächst sehr kritisch gesehen. In einem Brief an Bernhard von Lepel schreibt er am 21. September 1848: „Der Wrangelsche Armeebefehl und das Ministerium […] erklären geradezu die Contre-Revolution und fordern zum Kampfe heraus.“ Im Gedicht Vom braven Reitermann, das als Flugblatt gedruckt wurde, greift Fontane das Thema auf. Jahre später im Kriegsbuch Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864 gibt uns Fontane eine Kurzbiographie Wrangels, in der er auf das Jahr 1848 eingeht: „Am 10. November rückte er an der Spitze der Garden in Berlin ein, umstellte das Schauspielhaus, drin die preußische National-Versammlung tagte und inhibirte weitre Sitzungen. Die Entwaffnung der Bürgerwehr folgte. Sein Benehmen in jenen historisch gewordenen Tagen war fest, klug, taktvoll, getragen, auch unter den schwierigsten Verhältnissen, von jenem Humor, der ihn alsbald zu einer volksthümlichen Erscheinung machte.“ Deutlich wird hier, wie Fontane vermeidet, eigene Ansichten in Widerspruch zur preußischen Regierung zu stellen. Das eigene Urteil zu Wrangel änderte sich mit der Zeit grundlegend. In einem Brief an Paul Heyse im Dezember 1988 schreibt Fontane: „Einer hat, glaube ich, einmal gesagt, der Papst, wenn er nach Berlin käme, rangire neben Wrangel. Das ist noch Beschönigung; es muß heißen: unter.“
Fontane hat auch Wrangel-Anekdoten gesammelt. Die Berliner drohten Wrangel vor dem Einmarsch in Berlin, man würde in diesem Fall seine Frau hängen. Als er aber an der Spitze seiner Truppen durch das Brandenburger Tor ritt, wandte er sich plötzlich an seinen Adjutanten: „Soll mir wundern, ob sie ihr gehangen haben.“ Wegen dieser derben Art wurde er später von den Berlinern liebevoll „Papa Wrangel“ genannt. Im Kriegsbuch von 1864 lässt uns Fontane wissen: „Am 31. übersandte Feldmarschall Wrangel dem dänischen Oberbefehlshaber Generalleutnant de Meza die Aufforderung, Schleswig zu räumen; am 1. Februar früh, nachdem de Meza abgelehnt hatte, überschritten die österreichisch-preußischen Kolonnen die Eider, – der Krieg war da. […] Wir folgen nun dem greisen Feldmarschall in seine letzten Schlachten“.
Der Fontane von 1864 ist nicht mehr der Fontane von 1848. Zum einen schreibt er später eher in offiziellem Auftrag, zum anderen würdigt er nun Wrangels militärische Leistungen.
Fontane äußerte vor seinem 70. Geburtstag die Ansicht, er werde wohl „als Urgreis, als literarischer Wrangel oder Moltke gefeiert werden“. Wir aber freuen uns, in der hektischen, sich ständig verändernden Großstadt mal wieder auf Spuren des alten Fontane und seiner Zeit gestoßen zu sein.
Fontane hat dem Hernn Heyse in 1988 keinen Brief schreiben können weil er schon vor fast 100 Jahren gestorben war!
Ihr Beitrag war mir eine interessante, angenehme Lektüre.
Warum erwähnt Fontane den wrangelbrunnen immer wieder? In welche Beziehung steht er dazu?