Rückschau: Ansprache von Andreas Köstler am Theodor-Fontane-Denkmal in Neuruppin

30. Dezember 2014

KöstlerSehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Herr Golde, liebe Fontanefreundinnen und -freunde aus nah und fern, meine Damen und Herren!

Im Namen der Theodor Fontane Gesellschaft darf ich Sie herzlich zur Ehrung Theodor Fontanes an seinem Wiegenfest begrüßen. Wir feiern heute den 195. Geburtstag unseres Helden – kein ganz rundes Jubiläum, aber eines, hinter dem sich bereits deutlich der 200. Geburtstag aufbaut. Mit diesem sich abzeichnenden Groß-Jubiläum haben, wenn ich recht sehe, alle Fontane-Begeisterten, alle „Fontanisierten“, sich schon zu befassen begonnen. Man wird gespannt darauf sein dürfen, was unsere Zeit, was wir mit Fontane anzufangen wissen, und welche Facetten im Bild Fontanes zu diesem Jahrhundertjubiläum 2019 zum Strahlen gebracht werden können.

Zuvor aber, im kommenden Jahr, steht noch ein anderes rundes Jubiläum an: nämlich ein Vierteljahrhundert Theodor Fontane Gesellschaft, und wir möchten dieses runde Jubiläum: 25 Jahre unserer literarischen Vereinigung, auch am Ort unseres Hauptsitzes und der Geschäftsstelle, in Neuruppin, begehen. Daher haben wir beschlossen, unsere Jahrestagung 2015 hier in Neuruppin zu veranstalten. Es wird aber jedenfalls auch dort um das Bild Fontanes gehen, an dem wir aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen arbeiten und immer wieder Neues entdecken können.

Im Vorstand haben wir gefunden, dass eine Jahrestagung der Theodor Fontane Gesellschaft in Neuruppin in einem ungeraden Jahr sehr gut zwischen die in den geraden Jahren gefeierten Fontane-Festspiele passt. Ins Jahr 2015 wird aber auch die Einweihung des Neuruppiner Museums fallen, u.a. mit der Neupräsentation zu Fontane, auf die wir uns sehr freuen; und den schon für dieses Jahr vorgesehenen Birnbaum für Ingeborg Fontane hoffen wir nun endgültig pflanzen zu können (auf dass er bald Frucht trage). Alles in allem steht also nach dem Fontanejahr 2014 mit den Festspielen ein Fontanejahr 2015 auf dem Programm, und wir sind zuversichtlich, dass wir in der gesamten Zeit bis 2019 hin – den 200. Geburtstag fest im Blick – mit vielen einzelnen Veranstaltungen am Fontane-Bild, das es zu entwerfen und neu oder wieder zu entdecken gilt, weiterarbeiten. Jedenfalls möchten wir gerne dasjenige, was wir als literarische Gesellschaft mit über tausend Mitgliedern und vielen einzelnen Sektionen, auch in Polen und Großbritannien, dazu leisten können, beitragen.

Es tut immer gut, ein wenig am Ort unserer jährlichen Ehrung und damit beim Denkmal hinter mir zu verweilen, das Max Wiese nur wenige Jahre nach dem Tod Fontanes, um 1907, gestaltet hat. Nicht ohne Grund findet sich sein markantes Motiv mit dem eindeutigen Profil als Signet auf dem Briefpapier der Theodor Fontane Gesellschaft (und nicht nur dort); es lohnt – wie alle guten Denkmäler – einen vierten und fünften Blick, und auch mehrfache Blicke erschöpfen längst nicht alle Aspekte, die in es eingegangen sein mögen. Bei näherem Hinsehen in der Vorbereitung dieser Ansprache sind mir eine Fülle von Bezügen, ich sage einmal: „intermonumentaler“ oder „interpikturaler Art“, aufgegangen, also Bezüge von Bild zu Bild (in Parallele zu den intertextuellen Beziehungen von Text zu Text), ein Hin und Her von Denkmal zu Denkmal. (Erlauben Sie mir bitte diese knappen Einlassungen, die eine kunsthistorische Schlagseite auf Fontane verraten, die er mir hoffentlich nicht übel nimmt).

Max Wiese scheint vorderhand ein gängiges Bild von „Fontane in der Mark“ zu bestätigen; ein Bild, für das die Neuruppiner Auftraggeber mit ihrer Widmung „Dem Dichter der Mark, errichtet im Jahre 1907“ wohl ganz bewusst gesorgt haben dürften. Allein, das bühnenartige In-Szene-Setzen Fontanes durch Max Wiese erfüllt nicht nur dieses Diktum, sondern geht, wie ich meine, weit darüber hinaus: Unser Held, leger zurückgelehnt und wie sinnend in die Mark blickend, hat, wenn man ihn näher in Augenschein nimmt, seine Beinkleider doch ein bisschen zu akkurat über den frisch gewienerten Stiefeletten glatt gezogen. Sein Habit ist eher hochelegant als zum ordentlichen Wandern geeignet zu nennen; eigentlich taugt der städtische Anzug auf dünnbesohlten Schuhen nicht einmal für eine schnelle Tiergarten-Runde bei schlechtem Wetter. Zum modischen Flaneur und selbstbewussten Élegant passt auch der Gehstock – es ist jedenfalls ein Wanderstab –, mit dem Max Wiese sicherlich etwas ironisch die pompöse Sitznische füllt, als Pendant zur Sitzfigur. Für Kenner der preußischen Denkmallandschaft liegt im Gehstöckchen ein Hinweis besonderer Art auf der Hand: nämlich ein ironischer Verweis auf die sogenannten „Helden ohne Degen“, wie sie Christian Daniel Rauch mühsam in Berlin und andernorts durchsetzen musste. Ohne das standesübliche Attribut von Adel und Militär, ohne Degen, dafür aber mit einem apart präsentierten Spazierstock, der darüber hinaus noch zur Seite gelehnt ist, um an seiner Stelle einen spitzen Bleistift sowie ein Notizbuch lässig in die Hand nehmen zu können: So gibt sich ein Flaneur, ein kritischer Beobachter seiner Umwelt, weniger ein Wanderer – allenfalls ein souveräner Wanderer zwischen mehreren Welten. Nun hatte Max Wiese ja auch schon das Schinkel-Denkmal von 1883 gestaltet, und wer in Neuruppin zwischen den beiden – und anderen – Denkmälern hin- und herpendelt, dem werden die Unterschiede, aber auch die ironischen Vergleichbarkeiten zwischen den beiden bedeutendsten Söhnen der Stadt, wie sie im Denkmal vorgestellt werden, nicht entgangen sein. Zwar ist unser Fontane-Denkmal ein Vierteljahrhundert später entstanden als der Schinkel; die Denkmalsheroen waren mittlerweile vom Sockel herabgestiegen (wir befinden uns in der Zeit nach Auguste Rodins Bürger von Calais), so dass die Unterschiede zwischen den 1880er und 1900er Jahren deutlich greifbar sind: Wo Schinkel noch würdig auf dem hoch aufragenden Baluster steht, kann sich Fontane schon sehr zu sich selbst entspannen. Doch auch hier weiß Max Wiese uns zu überraschen: mit einem riesigen Felsenberg aus schwedischem Granit, den die Eiszeit in die Mark verschoben haben muss, der unseren Fontane in die Mark erdet; und darauf wiederum ein überraschend elegant geschwungenes, für das gängige Bild der Mark ein bisschen zu kapriziöses Sitzmöbel. Auch hier gilt: Eine derartig sich fast ausrollende Sitzbank ist doch wohl kaum in der Mark anzutreffen, vielleicht noch am ehesten im preußischen Arkadien, etwa in Sacrow oder einem der anderen Parks in und um Potsdam herum. Und auch hier hat sich Max Wiese m.E. ein paar sprechende Freiheiten genommen: Es handelt sich nicht, wie man zunächst annehmen möchte, um eine halbkreisförmige Bank wie etwa in Herculaneum und Pompeji, wo derartig geschwungene Anlagen an Grabanlagen üblich waren, also im Memorialkontext, zur Erinnerung, aufgestellte Sitzgelegenheiten waren. Sie ist doch nur für eine einzige Person gedacht, deren memoriales Gedenken sie gleichzeitig mit anzuschieben hat.

Und dann ist die „Tischlerarbeit“ unserer Steinbank noch eine Bemerkung wert: Die Triglyphen als Banksockel und v.a. die ionischen Voluten als Wangen und Lehnen bilden, so unkanonisch sie hier auftauchen, ein Ironiesignal. Jedenfalls kann man sie nicht mit Verweis auf den Jugendstil weg erklären. Wer den Schinkel vor Augen hat: Die Voluten, auf denen Theodor Fontane seinen linken Arm so lässig ruhen lässt, zitieren das pedantisch klassizistische Eckkapitell ionischer Ordnung, das dort als Auflage von Schinkels Schriften dient. Den Stift hält Fontane wie Schinkel, aber im Unterschied zu diesem gestrengen Lehrmeister der Architektur wird nicht die sakrosankte Sammlung architektonischer Entwürfe vorgestellt, sondern ein Notizbuch gefüllt. Während Schinkel den Entwurf seines Schauspielhauses am Gendarmenmarkt auf einer antiken Spolie abstützt, was ihn als einen der äußersten Exaktheit verpflichteten, quellenkundigen Architekten vorstellt, geht Fontane mit dem antiken Erbe, will sagen mit der kulturellen Tradition, viel poetischer um. Die gesamte Sitzbank zeigt (man kann dazu Fontane paraphrasieren) „Wahrheit, aber in höherer Auffassung“; sie wirkt wie ein Programmbild des poetischen Realismus, in vielem ironisch gewendet. Kurz: es ist ein sehr anekdotisches Bild unseres Helden, das das Denkmal entwirft, und eines, das – wie ich finde – unserem Fontane in der Art seines Vorgehens durchaus nahekommt, das den Ton der plaudernden Causerien mit vielen Andeutungen und Anspielungen durchaus trifft.

Es ist verführerisch, sich vorzustellen, wie Fontane auf sein eigenes Monument reagiert hätte. Wie sensibel er Denkmäler aufnahm und feinnervig registrierte, was sie aus den Dargestellten machten und wie sie seinen Nachruhm formten, das ist schon dem Frühwerk zu entnehmen, etwa der eindringlichen Schilderung eines Besuches von Westminster Abbey in der Artikelserie Ein Sommer in London von 1854. Hier heißt es unter der Überschrift „The Poets’ Corner“ (so wird die Abteilung mit den Gräbern der Geistesgrößen genannt, gemeint ist genauer das Nordquerhaus mit den Grab- und Denkmälern von Shakespeare, Milton, aber auch Händel): „Noch andere Plätze lieb’ ich im Fluge zu berühren […], aber das Ziel solchen Umgangs bleibt doch immer Poets’Corner, der Poeten-Winkel, wo ich auf einer der hölzernen Kirchenbänke Platz nehmend, den Orgelklängen zu lauschen pflege, die während des Nachmittag-Gottesdienstes die Kirche durchbrausen. Dann ist mir’s oft, als belebe sich der Marmor um mich her, […]“

Denkmäler sind für Fontane sprechende Werke. Und etwas weiter erläutert Fontanes Bericht aus London, auf welche Weise sie zu ihm sprechen: „[…] vor allem sind es zwei Bildwerke doch, die immer wieder und wieder die Aufmerksamkeit unseres Auges erzwingen: Garrick und Shakespeare. Zu der Berühmtheit der Namen gesellt sich eine besondere Tüchtigkeit der Kunstwerke selbst. Eine faltenreiche Gardine nach beiden Seiten hin zurückschlagend, tritt der geniale Verkörperer Shakespeareschen Wortes hinter derselben hervor. […] während die tiefere Idee der Darstellung auf ein Entschleiern, gleichsam ein Auseinanderschlagen der Shakespeareschen Schönheit hinausläuft, gibt der Bildhauer zu gleicher Zeit die einfachste und möglichst charakteristische Situation für die Vorführung eines dramatischen Künstlers überhaupt, in den Zügen des Kopfes paart sich das Geistvolle mit dem freundlich Wohlwollenden auf eine herzgewinnende Art […]“

Schon der frühe Fontane hängt also den Umständen nach, die zu Nachruhm führen und diesen festigen. Als Abschluss des Kapitels resümiert er ein paar Zeilen später seinen Besuch in Westminster wie folgt: „[…] wie reich sich dieses Leben [in London] erschließen mag, wie wenige gehören ihm an, die von der Hand des Todes nicht gleichzeitig hinweggewischt werden von der Tafel des menschlichen Gedächtnisses, und wer ist unter ihnen, dessen Marmorbild jene stille Ruhmeshalle beschreiten wird […]?!“

Nun – Fontane hat es jedenfalls geschafft, in edler Bronze in den Neuruppiner Poet’s Corner aufgenommen zu werden. Und Max Wiese scheint verstanden zu haben, welche Eigenschaften zu einem wirkungsvollen Bildwerk Theodor Fontanes gehören. Vervollständigen wir also dieses Vorstellungsbild Fontanes, das Max Wiese uns hier so elegant und mit etwas Augenzwinkern vor Augen gestellt hat: Die Themen zu und um Fontane jedenfalls werden uns in Neuruppin, aber auch in allen anderen Sektionen der Theodor Fontane Gesellschaft bis 2019 nicht ausgehen.

Damit möchte ich Sie und uns alle in Neuruppins Poets‘ Corner willkommen heißen, und verbinde dies mit allen guten Wünschen für Sie und Ihre Familien: Ihnen Glück, Gesundheit und ein erfolgreiches Jahr 2015 mit Fontane.

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