Fontane-Kreis Leipzig erlebt die Völkerschlacht

Text: Eberhard Figlarek

Die Feierlichkeiten anläßlich des 200. Jahrestages der Völkerschlacht haben ihren Schatten schon seit geraumer Zeit vorausgeworfen. Bereits seit Mai kann der historisch Interessierte Festveranstaltungen, Theateraufführungen und Ausstellungen oder auch Vorträge und Lesungen besuchen, um sein Wissen über die politische Situation anfangs des 19. Jahrhunderts mit ihren in die Völkerschlacht bei Leipzig mündenden Kriegswirren zu erweitern.

Während der Gedenkwoche vom 16. bis zum 20. Oktober, dem offiziellen Höhepunkt des Jubiläumsjahres, werden Theaterbühnen, Veranstaltungs- und Vortragsräume aller Coleur, Lesebühnen, Diskussionspodien, Kirchen, Gaststätten sowie eine Vielzahl von Freiflächen von einem unterschiedlich interessierten Publikum regelrecht überlaufen sein.

Auch vor und in dem Asisi-Panometer in der Richard-Lehmann-Straße wird das nicht anders sein, zählt doch der ehemalige Gasbehälter zu einem der bemerkenswertesten Veranstaltungsorte im Leipziger Stadtgebiet. Dort werden sich die Menschen drängen, um das von Yadegar Asisi und seinem Team geschaffene Panorama „Leipzig 1813 – In den Wirren der Völkerschlacht“ zu bestaunen.

Asisi

Gut beraten war daher der Leipziger Kreis der Theodor-Fontane-Gesellschaft, der bereits für den 28. August zu einem Besuch dieser monumentalen Darstellung des vom Krieg arg gebeutelten Leipzig eingeladen hatte. Der Besucherstrom überstieg das Normalmaß (noch) nicht, so daß sich jeder ohne Druck oder Streß zunächst einer kleinen, liebevoll gestalteten Ausstellung widmen konnte, die in die Geschichte der Stadt Leipzig einschließlich der Entwicklung des Meßwesens und –geschehens einführt. Der informative Charakter der Ausstellung wird durch Original-Leihgaben aus dem Stadtgeschichtlichen Museum unterstrichen, wodurch der Betrachter Leipzig als eine Stadt kennenlernt, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein blühendes, von wohlhabendem Großbürgertum geprägtes Handelszentrum war.

Ein zweiter Teil der Vorbereitung auf den eigentlichen Höhepunkt des Besuches ist optischer Natur. In einem etwa halbstündigen Film wird dem Besucher die Entstehung des Panoramas sehr lebendig vor Augen geführt. Angefangen von der Idee und deren historischen Bewältigung, über die konstruktive Bearbeitung durch Architekten, Zeichner, Fotographen und Video-Gestalter bis zur handwerklichen Umsetzung durch Maler, Kostüm- und Maskenbildner und die vielen Komparsen ist es ein großes, eingespieltes Team, das in aufopferungsvoller Arbeit dafür sorgt, daß schließlich die 32 x 110 Meter messende Leinwand aufgehängt werden kann.

So mit historischem und technischem Wissen ausgerüstet, begibt sich der Besucher endlich in den Hauptraum des Panometers – und ist überwältigt, auch wenn er sich erst auf der untersten Betrachter-Ebene befindet. Der Eindruck steigert sich, je mehr der in der Raummitte installierten Plattformen er erklimmt, bis er schließlich auf der letzten und damit auf dem virtuellen Dach der Thomaskirche angekommen ist.

Von hier aus bietet sich ihm ein entsetzliches Bild auf die Stadt. Denn die Panorama-Darstellung zeigt den 19. Oktober, den Tag also, an dem die Schlacht geschlagen ist. Napoleons Truppen sind auf dem Rückzug, während die Aliierten zur Siegesparade reiten. Die Stadt Leipzig aber versinkt im Chaos des Krieges. Soldaten liegen auf den Straßen und Plätzen, verwundet, blutüberströmt, die wenigsten mit blutdurchweichten Binden um Kopf oder Gliedmaßen. Ein gen Himmel gereckter Armstumpf gehört zu einem Uniformierten mit verzerrtem Gesicht, von dem man schrille Schmerzensschreie zu hören glaubt. Und Tote, überall Tote. Starre Augen künden davon, daß junge, kräftige Männer einen sinnlosen Tod starben.

Durch die Straßen und Gassen drängen, rennen flüchtende Soldaten ebenso wie Zivilisten, Frauen, Kinder, vorbei an zerbrochenen Karren, verlassenen Planwagen, Tierkadavern. Schreien hört man und Schimpfen, Stöhnen und Fluchen – die Szenerie des Jammers, der Angst und der Mutlosigkeit wird durch die dem Bild unterlegte Geräuschkulisse sehr eindrucksvoll ergänzt.

Die Fassaden der Häuser sind rußgeschwärzt, die Fenster ohne Glas, die Dächer geborsten. Und über allem liegt der dicke, beizende Qualm, der hereingeweht wird aus den Dörfern rings um Leipzig, aus Probstheida, Holzhausen, Connewitz, Stötteritz, wo noch Häuser und Gehöfte brennen … Überall herrschen Leid und Verzweiflung, Trauer und Not.

Dieses Szenario ruft, so bedrückend es auch sein mag, beim Betrachter dennoch Bewunderung hervor. Bewunderung für die unglaubliche Detailtreue, mit der Yadegar Asisi das Ende der Völkerschlacht im Leipziger Stadtgebiet dargestellt hat. Es spricht für ihn, den Künstler und Architekten, daß er in einer Zeit, die von Video-Clips und Smartphones dominiert wird, es schafft, mit einem Standphoto (freilich von überdimensionaler Größe!) gleichermaßen Anerkennung, Begeisterung und Nachdenklichkeit beim Publikum auszulösen.

Asisi sagt, daß er „…kein Schlachtenpanorama schaffen wollte, sondern ein Panorama gegen den Krieg“. Das ist ihm gelungen. Nicht zuletzt dadurch, daß er auf jegliches Pathos einer Kampfdarstellung verzichtete, ebenso wie auf die beteiligten Feldherren: Napoleon ist auf der Panorama-Fläche ebensowenig zu sehen, wie etwa Zar Alexander I., König Friedrich Wilhelm III, Fürst Schwarzenberg, Generalfeldmarschall Blücher oder all die anderen Marschälle, Generäle, Heerführer, von denen die Geschichte später sagen wird, daß sie die Helden der Völkerschlacht gewesen seien.

Asisis Helden sind die rund 100.000 getöteten Franzosen, Russen, Österreicher und Preußen, von denen viele nach der Schlacht in Massengräbern vor der Stadt Leipzig verscharrt wurden. Es sind die vielen tausend Verwundeten, die noch Jahre, Jahrzehnte nach den Kriegswirren unter körperlichen und seelischen Schäden zu leiden hatten. Es sind die Frauen ohne Männer, die Kinder ohne Väter…

Assoziationen bis in die allerjüngste Vergangenheit drängen sich einem da unwillkürlich auf. Wenn das Asisis Absicht war bzw. ist (wovon der Chronist fest überzeugt ist), dann ist ihm für sein Panorama „Leipzig 1813“ zu danken – nicht nur als sehenswerter Rückblick in europäische Geschichte, sondern vor allem als ein beachtenswertes Antikriegs-Statement, das auch für die kleine Gruppe Leipziger Fontane-Freunde ein berührendes Erlebnis war.

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