Über Theodor Fontanes jüngeren Bruder Johann Rudolph (1821-1845)

Text: Manfred Horlitz (†)

Theodor Fontane hatte vier Geschwister, alle jünger als er. Er erinnerte sich später häufig an seine Schwester Jenny, aber auch an Gustav Maximilian und an Elisabeth Charlotte. Sie finden auch Platz in seinen nachgelassenen Schriften. Dagegen fand der nur zwei Jahre jüngere Bruder Rudolph – soweit ich mich erinnere – keine namentliche Erwähnung. Lediglich in Meine Kinderjahre spricht er von seinem „jüngsten Bruder“. Diese Einstellung Theodor Fontanes zu seinem Bruder Rudolph erscheint merkwürdig, zumal er ihm altersmäßig am nächsten stand. Die Gründe für diese bedenkenswerte Zurückhaltung können vielfältige Ursachen haben. Vielleicht lag es an den völlig unterschiedlichen Lebenswegen der beiden und folglich auch an der räumlichen Trennung?

Theodor bewegte sich in den vierziger Jahren als künftiger Apotheker und Autor in verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen und an unterschiedlichen Orten. Im Todesjahr seines Bruders verlobte er sich mit Emilie Rouanet und stellte handschriftlich eine Sammlung von über 100 Gedichten als von ihm so genanntes Zweites Grünes Buch zusammen. In diesem persönlichen und gesellschaftlichen „Trubel“ war er auch mit verschiedensten Problemen konfrontiert, die ihn vermutlich nicht mehr an Reminiszenzen für den früh Verstorbenen denken ließen. Aber vielleicht waren beide auch von so unterschiedlichem Charakter, dass sie nach ihren Schuljahren nicht mehr zu einander fanden?

Auch in der Sekundärliteratur gibt es nur spärliche und obendrein widersprüchliche Hinweise auf Rudolph Fontane. Deshalb möchte ich etwas mehr Klarheit in das kurze Leben dieser Persönlichkeit bringen. Mich berührte vor allem die Frage, was aus ihm nach dem Neuruppiner Schulbesuch in den 1830er Jahren wurde, welchen Beruf er erlernte und welche Tätigkeit er danach ausübte.

Am 1. Oktober 1821 wurde er in Neuruppin geboren und am 8. November auf die Namen Carl, Johann, Rudolph getauft.1 Unter den Paten befanden sich neben seinem Onkel, dem preußischen Wegebaumeister Carl Heinrich Wilhelm Fontane, der Superintendent Schröner und weitere Honoratioren, darunter auch der Buchhändler Kühn, bekannt durch seine Neuruppiner Bilderbogen.

Als Theodor sieben und Rudolph fünf Jahre alt war, gab ihr Vater, Louis Henri, die Löwen-Apotheke in Neuruppin auf und erwarb die Adler-Apotheke in Swinemünde. Schließlich durfte Rudolph zusammen mit seinem älteren Bruder Theodor 1832 das Elternhaus verlassen und mit ihm das Gymnasium in Neuruppin besuchen.2

Das lässt sich belegen durch Theodor Fontanes erstes Geschichten-Buch, in dem er auf 88 Seiten Vorgänge der deutschen Geschichte vom 9. Jahrhundert bis zum Spanischen Erbfolge-Krieg aus eigenem Interesse notiert hatte.

Möglicherweise war er dazu auch von seinem geschichtsinteressierten Vater oder einem Lehrer angeregt worden. Wie dem auch sei: Das Geschichtsheft dokumentiert das frühzeitige Interesse des jungen Theodor an der Historie. Die Echtheit dieser handschriftlichen Aufzeichnungen wird auf der letzten Seite von einigen Mitschülern bestätigt, zu denen auch R. Fontane, also sein Bruder Rudolph, gehörte.

In dem 1995 erschienenen Faksimile-Druck 3 lesen wir: „Das Geschichten Buch ist aus. Theodor Fontane hat es ausgeschrieben gans allein es ist gewiß war ihr könnt es mir glauben alle samt und sonders denn ich lüge nicht das könt ihr glauben er ist ein ehrlicher Neuruppiner“. Am Rande ist handschriftlich (offensichtlich von derselben Hand, die die eben zitierten Sätze schrieb) hinzugefügt worden: „W. Frick, W. Krause, J. Jahnke, M. Krause, H. Krause, R. Fontane haben unterschrieben.“ Ich hege keinen Zweifel, dass es sich bei „R. Fontane“ um den jüngeren Bruder Rudolf handelt.

Handschrift-Faksimile

Während Theodor dann von 1833 bis 1836 die Berliner Gewerbeschule unter C.F. Klöden besuchte, dürfte Rudolf eine landwirtschaftliche Lehr- oder Ausbildungsanstalt absolviert haben. Denn es gibt keinen Beweis, dass er „in der Nachfolge des Vaters den Apothekerberuf wählte“, wie es im Fontane-Lexikon heißt.4

Das Fontane-Handbuch kommt der Profession Rudolphs schon näher, indem er darin als „Landwirt“ ausgewiesen ist.5 Doch in jüngster Zeit stellte sich heraus, dass er keinen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb besaß. Von dem brandenburgischen Regionalforscher Klaus Euhausen, der Familienforschung in Badingen und Mildenberg (Oberhavel) betrieben hat,6 erhielt ich die Information, dass er in Badingen auf Rudolph Fontane gestoßen ist. Dieser sei dort als „Wirtschafts-Inspektor“ tätig gewesen und nach einem Kirchenbucheintrag am 1. Januar 1845 in diesem Orte verstorben.

Seine Angaben habe ich im Herbst 2013 gemeinsam mit Dr. Lothar Weigert vor Ort geprüft und für korrekt und zuverlässig befunden.

Im Evangelischen Pfarramt Mildenberg ermöglichte uns der amtierende Pfarrer, Günther Schobert, Einblick in das Sterbe- und Bestattungsbuch von Badingen. Darin findet sich vom Januar 1845 folgender handschriftlicher Eintrag:

„Herr Rudolph Fantane (Fontane, M.H.), Wirthschafts-Inspector, 23 Jahre und 3 Monate alt, (…) gestorben den 1. (ersten) Januar, 8 Uhr morgens an Lungen- und Gehirnentzündung, beerdigt den 3. Januar in Badingen. Fink, Prediger Mildenberg-Badingen“.7

Es folgt der Hinweis, dass er seine Eltern, die Apothekerfamilie Fontane in Letschin, „hinterläßt“. Folglich schied er unverheiratet und kinderlos aus dem Leben.

Aus all dem lässt sich schließen, dass er auf dem Badinger Gut, ehem. Besitz derer von Trott, tätig war. Diese altmärkische Adelsfamilie war bereits 1666 ausgestorben und nach dem Tod des letzten Trott, der in Himmelpfort lebte und dort (1727) verstarb,“ ging Badingen zurück in den Besitz des Landes und wurde königliches Domänenamt“.8 Insofern wurde das Gut eine königliche Domäne, in der Rudoph Fontane als Inspektor tätig war. Auf jeden Fall dürfte er nicht nur solide Sachkenntnisse besessen haben, sondern auch tüchtig gewesen sein, sonst wäre ihm wohl kaum die Leitung eines Domäne-Gutes anvertraut worden.

Der an der Dorfkirche gelegene Friedhof ist längst eingeebnet, und deshalb gibt es dort keinen Hinweis mehr auf früher Bestattete. Auch Rudolphs einstige Wohnstätte konnte nicht mehr ermittelt werden. Es ist anzunehmen, dass er in dem erwähnten Gutshaus, einem schlossähnlichen Bauwerk, das heute noch existiert, zumindest eine Art Dienstwohnung besaß.

Schließlich darf vermutet werden, dass der Zweitgeborene in der Familie Theodor und Emilie Fontane, der nur vom 2. bis 14. September 1852 lebte, den Namen „Rudolph“ in Erinnerung an den früh verstorbenen Bruder Theodors erhielt.

Am 16. September 1852 richtet Emilie an ihren in England weilenden Ehemann u.a. folgende Zeilen: „Gestern Nachmittag erhielt der Kleine die Nothtaufe (…) wir haben ihn Rudolph taufen lassen.“ Und am Ende des Briefes berichtet sie:

„Unsere(r) Mama (…) ist der Tod des Kleinen auch sehr nahe gegangen, sie freute sich (…), daß er ihrem Rudolph so ähnlich sah“.9

Ich werte dies als ein Zeichen dafür, dass die Erinnerung an den so jung verstorbenen Bruder Th. Fontanes in der Familie noch gegenwärtig war.

Anmerkungen:

  1. Gesamtkirchenbuch (= Gs KB) der Evangelischen Gemeinden von Neuruppin, Bd.II: Taufreg. 1821, S. 50f.
  2. Theodor Fontane: Autobiographische Schriften. Bd. 1, Meine Kinderjahre. Berlin: Aufbau-Verlag 1982, S. 186f./ Fontane-Blätter, Bd. 2, H. 7 (1972), S.479 u. 481.
  3. „Theodor Fontane hat es aus geschrieben gans allein …“. Fontanes erstes Geschichten Buch. Faksimileausgabe nach der Handschrift. Nachl. Fontane 11 der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Hrsg. von Helmuth u. Elisabeth Nürnberger. Berlin: 1995, S.88.
  4. Helmuth Nürnberger u. Dietmar Storch: Fontane-Lexikon, Namen – Stoffe – Zeitgeschichte. München: Carl Hanser Verlag 2007, S. 146.
  5. Fontane-Handbuch. Hrsg. von Christian Grawe u. Helmuth Nürnberger. Stuttgart: Kröner 2000, S. 12., unter Bezugnahme auf Jochen Desel: Theodor Fontane – seine Familie und seine französische Abstammung. In: Genealogie. Neustadt/Aisch, Heft 11-12. 1998, S. 346.
  6. Klaus Euhausen: Familienforschung und Regionalgeschichte in Nordbrandenburg. Darin: Ortsfamilienbuch Badingen bei Zehdenick 1739 bis 1900. 2011. Selbstverlag. Auf S. 200 wird unter Nr. 906 Rudolph Fontane als „Wirtschaftsinspektor“ ausgewiesen. (Herr Euhausen war durch die Lektüre meines Buches über die Vorfahren Th. Fontanes, S. 222, auf die fehlende Berufsangabe zu Rudolph Fontane gestoßen.)
  7. Sterbe- und Bestattungsbuch von Badingen 1845; unter Nr. 2 Eintrag für R. Fontane.
  8. Zitiert nach dem von Günther Schobert gedruckten Informationsblatt zur Geschichte Badingens für die dortige Kirchengemeinde.
  9. Emilie und Theodor Fontane (…). Der Ehebriefwechsel 1844-1857. Hrsg. von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler. Berlin: Aufbau-Verlag 1998, Bd. 1, S. 149-51.

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