„Fontane und Menzel.“ – Vortrag von Prof. Dr. Andreas Köstler in Leipzig

Text: Matthias Grüne

Foto: Petra Hesse

IMG_8326„Apart gelungen“! So urteilt Fontane über sein eigenes Gedicht, das am 8. Dezember 1885 anlässlich des 70. Geburtstages von Adolph Menzel in der Vossischen Zeitung erschien. Ohne Frage hat er recht: Auf der Treppe von Sanssouci ist eine differenzierte, ja subtile Reflexion über Menzels Kunstauffassung und die Möglichkeit, ihr mit literarischen Mitteln gerecht zu werden. Geistreich ist bereits die Idee einer nächtlichen Begegnung mit dem Geist Friedrichs II., der gekommen ist, um sich zu erkundigen, wer denn eigentlich dieser  Menzel sei. Das lyrische Ich weiß auf diese Frage keine bessere Antwort, als die vielen Personen und Dinge aufzuzählen, die sich auf Menzels Bildern finden – von den „Walz- und Eisenwerken“ bis zur „Hummer-Majonnaise“, von „Bismarck“ bis zu „Gräfin Hacke“. Kein Gegenstand, so will er damit sagen, ist dem Maler zu unbedeutend, um nicht in einer Zeichnung festgehalten werden zu können. Das Gedicht reflektiert Menzels Schaffen aber auch auf einer anderen Ebene: Seine Wirkung verdankt es der kunstvollen Situierung der Handlung, der Vergegenwärtigung der winterlichen Parkanlage von Sanssouci. Mit wenigen, scheinbar leicht hingeworfenen Worten wird hier ein Nachtstück von erstaunlicher atmosphärischer Dichte entworfen. Bewusst oder unbewusst spiegelt Fontane damit ein für Menzels ,Realismus‘ zentrales Verfahren, wonach der ,Realitäteffekt‘ des Bildes weniger aus der fotografischen Treue entspringt als aus der Suggestion von Situiertheit, dem Entwurf des dargestellten Raumes von einem körperlich anwesenden, erlebenden Ich aus. Schließlich lässt sich der Text noch als eine Aussage über das persönliche Verhältnis der beiden Künstler lesen. Die despektierlichen Äußerungen über die Schriftsteller, die der Autor dem Alten Fritz in den Mund legt, sind vielleicht mehr als ein rhetorischer Kniff. Möglicherweise entstammen sie einem unterschwelligen Gefühl der Rivalität mit dem Maler, der eine öffentliche Anerkennung genoss, die für Fontane zu diesem Zeitpunkt noch unerreichbar schien.

Damit ist bereits eine der zentralen Thesen des Vortrags berührt, der am 13. April 2016 in der Stadtbibliothek Leipzig zu hören war. Der Vorsitzende der Theodor Fontane Gesellschaft, Prof. Dr. Andreas Köstler, sprach dort über die Beziehungen und Begegnungen zwischen „Fontane und Menzel“; nebenbei bemerkt: vor einer rekordverdächtigen Kulisse. Der Vortragssaal „Huldreich Groß“, in dem traditionell die Veranstaltungen des Fontane-Kreises Leipzig stattfinden, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Offenbar hatte das Thema neben den treuen Fontane-Freunden auch zahlreiche Menzel-Liebhaber angelockt, was durchaus eine freudige Überraschung war. Denn obwohl Menzel mit Recht unter die bedeutendsten europäischen Maler des 19. Jahrhunderts gezählt wird, sind sein Name und sein Werk in der öffentlichen Wahrnehmung seltsam verblasst. Köstlers gleichermaßen unterhaltsamer wie anspruchsvoller Vortrag zeigte nicht zuletzt, dass Menzels Bilder angesichts ihrer herausragenden künstlerischen Qualität mehr Aufmerksamkeit verdienen, als ihnen oft zuteilwird.

Seinen Überblick über das Verhältnis der beiden großen ,Realisten‘ zueinander begann Köstler mit einigen biografischen Details. Menzel und Fontane, so wurde schnell klar, verbindet eigentlich eine ganze Menge, angefangen von den ähnlichen Lebensdaten, über die gemeinsame Zeit im Tunnel und im Rütli bis hin zu ähnlichen Einstellungen in ästhetischen oder politischen Fragen. Angesichts dieser vielen Überschneidungen überrascht der kühle, mitunter sogar distanzierte Umgang, den die Künstler miteinander pflegten. Die Wirkungsgeschichte des eingangs besprochenen Huldigungsgedichtes gibt dafür übrigens ein gutes Beispiel. Denn die erwartete Danksagung des Gefeierten blieb zunächst aus, was den in diesen Dingen empfindlichen Fontane nachhaltig verstimmte. Wie Köstler hervorhob, ist die briefliche Kommunikation der beiden zumeist in einem nüchternen, geschäftsmäßigen Ton gehalten. Herzlichkeiten liest man selten, noch seltener ausführlichere Stellungnahmen zu den künstlerischen Leistungen des anderen, insbesondere vonseiten Menzels. Fontane zeigt sich in dieser Hinsicht etwas mitteilungsfreudiger und schließlich liefert er, wie gesehen, mit seinem Geburtstagsgedicht eine durchaus vielschichte Interpretation von Menzels Schaffen. Doch trotz dieser Äußerungen bleibt der Gesamteindruck, dass beide Künstler sich nicht allzu viel zu sagen gehabt hätten.

Von dieser Beobachtung aus richtete Köstler dann den Blick auf mögliche Parallelen und Verbindungspunkte in der Kunstauffassung und wird schnell fündig. Am Gegenstand einiger bekannter Gemälde – darunter das Flötenkonzert und Abreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870 – konnte er eindrucksvoll belegen, wie ähnlich sich Menzel und Fontane in der Konstruktion ihrer Bild- bzw. Erzählwelten sind. Verblüffend waren insbesondere die Hinweise des Referenten auf die vielen ,Finessen‘ Menzels, die zahlreichen impliziten Kommentare, die sich in seinen auf den ersten Blick so faktentreuen Bildern aufspüren lassen; ein Prinzip, das dem Fontane-Leser nur allzu bekannt vorkommt. Was in Köstlers Ausführungen dabei immer wieder aufschien, war der Gedanke, dass möglicherweise gerade die Nähe in künstlerischen Fragen ein Grund für das kühle persönliche Verhältnis war. Denn diese Nähe machte Fontane und Menzel in gewissem Sinne zu Konkurrenten auf dem Gebiet des Realismus, zu Rivalen in aestheticis.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.