Fontane-Kreis Leipzig: Rudolf Muhs (London) über Fontanes „Bismarck“-Biographie

Text: Matthias Grüne
Fotos: Monika Stoye

IMG_7469„Der Dichter und der Schwefelgelbe“ – so titelte Der Spiegel im Juli 1998, dem 100. Todesjahr Bismarcks und Fontanes. Ein Doppeljubiläum gibt es 2015 zwar nicht, doch der 200. Geburtstag des „Reichsgründers“ ist Anlass genug, nach der Beziehung zwischen den beiden bedeutenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, dem „Ur-Preußen“ und dem Chronisten preußischer Befindlichkeiten, zu fragen. In seinem am 18. Februar in der Stadtbibliothek Leipzig gehaltenen Vortrag hat sich der Historiker Rudolf Muhs diesem Thema von einer ungewöhnlichen Seite aus genähert. Denn seine Überlegungen bezogen sich weder auf die Präsenz Bismarcks in den literarischen Texten noch auf Fontanes zahlreiche privaten Kommentare über den Kanzler. Stattdessen konzentrierte sich Muhs auf die einzige öffentliche Stellungnahme des Autors, das Bismarck-Kapitel in dem 1879 erschienenen, aufwendig illustrierten Folioband Vaterländische Reiterbilder. Es ist in der Tat eine überaus interessante Frage, warum Fontane sich nur einmal öffentlich zu Bismarck geäußert hat, vor allem aber, warum er dabei nicht einmal selbst das Wort ergriffen, sondern den biographischen Essay schlichtweg abgekupfert hat; denn der Text in den Reiterbilden stammte ursprünglich von Rudolf Lindau. Muhs legte die Hintergründe dieser Publikation umfassend dar und erläuterte, was Fontane zu diesem für ihn ungewöhnlichen Schritt bewogen haben könnte. Dabei etablierte er die These, dass neben praktischen Gründen wie Zeitmangel oder fehlendem Enthusiasmus für diese Auftragsarbeit auch eine Abneigung gegenüber der Biographie als Gattung eine Rolle gespielt haben dürfte. Wie Muhs unter Bezug auf einen Aufsatz von Rudolf von Gottschall ausführte, stand die biographische Geschichtsschreibung in der Zeit unter dem Generalverdacht, eine positivistische Faktenhuberei zu betreiben, die den historischen Persönlichkeiten nicht gerecht wird. Nach Muhs Einschätzung teilte Fontane Gottschalls Ansicht, dass erst die dichterische Intention den wahren Biographen macht. Im Kontext eines Foliobandes, in dem der Text ohnehin nur Beiwerk zu den kunstvollen Lithografien darstellte, war dieser Anspruch nicht einzulösen. Aus diesem Grund, folgerte Muhs, riskierte Fontane lieber ein Plagiat, statt selbst den Versuch einer kurzen Bismarck-Biographie zu wagen. Des Weiteren war es wohl auch politische Vorsicht, die Fontane dazu anhielt, seine eigenen Gedanken über den Reichskanzler zu verbergen. Muhs übersah diesen Gesichtspunkt keineswegs und so zeichnete sein Vortrag ein so genaues wie lebendiges Bild von der verpassten publizistischen Auseinandersetzung Fontanes mit dem Phänomen Bismarck.

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