„Brief aus Berlin“ (27): Zum Bismarckjahr 2015

Die „Briefe aus Berlin“ erscheinen in den „Mitteilungen“ der Fontane Gesellschaft und werden auf der Website ebenfalls zugänglich gemacht.

Zum Bismarckjahr 2015

von Georg Bartsch

Heute ein etwas anderer Brief aus Berlin. Wir stellen zwei Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts einander gegenüber, Bismarck und Fontane. Anlass ist der 200. Geburtstag von Otto von Bismarck im April dieses Jahres. Sein Denkmal steht im Tiergarten am Großen Stern, gegenüber der Siegessäule. Wie diese wurde das Denkmal 1938 vom Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik, hierher versetzt. Entworfen wurde es von Reinhold Begas, von dem auch der Neptunbrunnen am Alexanderplatz stammt. Bismarck ist 1815, Fontane 1819 geboren, beide starben zum Ende des Jahrhunderts 1898. Fontane war ein großer Bewunderer der Politik Bismarcks. „Der größte Erfolg war die volle politische Einigung Deutschlands.“ Und „Bismarck ist ein ausgezeichneter Briefschreiber.“ Ein solches Lob von Fontane, dessen Briefe wir neben seinen Wanderungen und Romanen gleich hoch schätzen, hat Gewicht. Und in einem Brief Fontanes an Maximilian Harden vom 4. März 1894 heißt es zu Bismarck: „In fast allem, was ich seit 70 geschrieben, geht der ‚Schwefelgelbe’ um und wenn das Gespräch ihn auch nur flüchtig berührt, es ist immer von ihm die Rede.“ Gelb waren die Kragen der Uniformen der Halberstädter Kürassiere, denen Bismarck angehörte. Wir erinnern uns, wie Fontane, der 1870 in französische Kriegsgefangenschaft geriet, durch die Hilfe Bismarcks wieder frei kam. Fontane hatte also ganz persönliche Gründe, Bismarck dankbar zu sein. Zwanzig Jahre später jedoch schreibt er an Georg Friedländer: „Bismarck hat keinen größeren Anschwärmer gehabt als mich, meine Frau hat mir nie eine seiner Reden oder Briefe oder Äußerungen vorgelesen, ohne dass ich in ein helles Entzücken geraten wäre, die Welt hat selten ein größeres Genie gesehen, selten einen mutigeren und charaktervolleren Mann und selten einen größeren Humoristen. Aber eines war ihm versagt geblieben: Edelmut; das Gegenteil davon, das zuletzt die hässliche Form kleinlichster Gehässigkeit annahm, zieht sich durch sein Leben…und an diesem Nicht-Edelmut ist er schließlich gescheitert und in diesem Nicht-Edelmut steckt die Wurzel der wenigstens relativen Gleichgültigkeit, mit der ihn selbst seine Bewunderer haben scheiden sehn…Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind.“

So beschreibt man einen Großen, dessen Zeit vorüber ist. Wie ganz anders blickt man auf Fontanes Leben. Alfred Kerr tut dies zu Beginn des Jahres 1895: „Und das Staunenswerte ist: diese unmoderne Persönlichkeit hat unglaublich moderne Ansichten. Der älteste unter den deutschen Literaten ist zugleich der entschlossenste Parteigänger der jüngsten. Er wird von ihnen geliebt wie kein zweiter … Sie alle bestaunen ein Phänomen in dem Manne, der sich, im zarten Alter von sechzig Jahren, entschloss, ein naturalistischer Dichter zu werden; der sich hinsetzte und in ‚Irrungen und Wirrungen‘ flugs den besten Berliner Roman schrieb; der heut mit fünfundsiebzig Jahren noch ein wundervolles lebenstiefes Abendstück von reifer und inniger Kunst zustande bringt.“

Kurt Tucholsky schreibt zu Fontanes 100. Geburtstag: „Lest vom alten Fontane … und ihr werdet schmunzeln und lächeln und blättern und lesen und immer weiterlesen.“

BismarckBei Thomas Mann heißt es: „Unendliche Liebe, unendliche Sympathie und Dankbarkeit, ein Gefühl tiefer Verwandtschaft, eine unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung bei jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzen von ihm – das ist, da Sie fragen, mein Verhältnis zu Theodor Fontane.“

Solche Worte über Bismarck – unvorstellbar. Man mag einwenden, ein Politiker und ein Schriftsteller lassen sich nicht vergleichen. Fontane war zeit seines Lebens ein politischer Mensch. Noch 1896 schreibt er an James Morris: „Alles Interesse ruht beim vierten Stand. Der Bourgeois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken, immer wieder dasselbe … das, was die Arbeiter denken, sprechen schreiben, hat das Denken, Sprechen und Schreiben der altregierenden Klassen tatsächlich überholt.“ Solche Worte von Bismarck – unvorstellbar. Bismarck ist Geschichte, Fontane der Zukunft zugewandt.

Das Wache dieses alten Mannes und zugleich menschlich Anrührende drückt sich auch in einem Gedicht Fontanes aus, geschrieben kurz vor Bismarcks Tod, und den eigenen Tod nicht mehr weit wissend: „Ja, das möcht ich noch erleben“. Hier die erste Strophe:

Eigentlich ist mir alles gleich,
Der eine wird arm, der andere reich,
Aber mit Bismarck, – was wird das noch geben?
Das mit Bismarck, das möcht ich noch erleben.

Und der im Urteil oft so strenge Fontane schreibt dann in tiefem Respekt in den wenigen Monaten zwischen Bismarcks und seinem eigenen Tod noch ein Gedicht über den Fürsten, in dem es heißt:

Und kommen nach dreitausend Jahren
Fremde hier des Weges gefahren
Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,
Den Waldgrund in Epheu tief eingesponnen
Und staunen der Schönheit und jauchzen froh,
So gebietet einer: „Lärmt nicht so; –
Hier unten liegt Bismarck irgendwo.“

Wenn wir in diesem Jahr auf Bismarck zurückschauend vor seinem Denkmal stehen, dann erinnern wir uns an einen großen Politiker, der Geschichte ist. Fontane aber ist mit seinen Werken, und dazu gehören auch seine Briefe, uns gegenwärtig. Oder, wie es Sebastian Haffner sagt: „Fontane stammt aus einer versunkenen Welt. Aber Fontane, das ist das erstaunliche, wird von Jahrzehnt zu Jahrzehnt vernehmlicher.“

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