Fontane-Kreis Leipzig: Theodor Fontane aus der Sicht des Chronisten betrachtet

Text: Eberhard Figlarek
Foto: Monika Stoye

Dass ein seltenes Ereignis sehr reizvoll sein kann, ist nicht neu. Bewiesen wurde diese Behauptung einmal mehr am 29. Februar – ein seltener Tag im Jahresablauf. Genau für diesen Tag hatte der Fontane-Kreis Leipzig zu seiner ersten Veranstaltung im Jahre 2012 in die Bibliothek „Walter Hofmann“ in der Steinstraße eingeladen.

Der zunächst etwas befremdlich anmutende Titel „Raum und Mobilität – Fontane im Spiegel der Chronik“ wurde alsbald von der Leiterin des Leipziger Fontane-Kreises, Monika Stoye, seiner Rätselhaftigkeit entledigt, denn bei der Chronik handelt es sich um die im Jahr 2010 bei dem Verlag de Gruyter in Berlin erschienene fünfbändige „Theodor Fontane Chronik“, erarbeitet und herausgegeben von dem exzellenten Fontane-Kenner Prof. Dr. Roland Berbig. Er hat, gestützt auf alle uns heute zugänglichen Quellen, sehr detailgetreu das Leben Theodor Fontanes in außerordentlich akribischer Art und Weise nachgezeichnet.

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Diese Fundgrube biographischer Fakten den Freunden Fontanes zumindest in wesentlichen Auszügen nahezubringen, war das Anliegen der Lesung. Denn wer da meint, das Vorlesen von Teilen einer „Chronik“ müsse zwangsweise in der bloßen Wiedergabe knochentrockener biographischer Daten bestehen, der hat weit gefehlt! Denn es ist den beiden Sprechern, der aus verschiedenen Fontane-Veranstaltungen in Leipzig bereits bestens bekannten Helga Sylvester und dem Sekretär der Theodor Fontane Gesellschaft, Bernd Thiemann aus Potsdam, sehr gut gelungen, die Elemente der Chronik – gleich, ob es sich dabei um Tagebuchaufzeichnungen Fontanes, Briefe von ihm, seiner Frau oder seinen Freunden, oder um Eintragungen in das von Frau Emilie geführte Haushaltsbuch handelt – sprachlich so in Szene zu setzen, dass aus ihnen der Zeitgeist des Entstehens deutlich spürbar wurde.

So geriet die als Zwiegespräch geführte Lesung zu einem interessanten Erlebnis, in dem der zahlreich erschienenen Hörerschaft das Leben Fontanes sehr facettenreich anhand vieler neuer Zahlen, Daten und Fakten vorgestellt wurde.

So lernte man den heute hochverehrten Romancier als den Bürger kennen, dem nichts Menschliches fremd gewesen ist – so etwa, dass er unter permanenter Geldnot litt; dass es auf dem mehr als 40jährigen Weg der Ehe mit seiner Frau Emilie durchaus auch holprige Strecken zu bewältigen galt; dass selbst seine Freunde nicht mit kritischen Worten geizten, ja, dass er von manchen gar „Nöhl“ genannt wurde, wegen seiner unangenehmen Eigenschaft, an vielen Dingen herum zu “nöhlen“.

Bei dieser Darstellung kam erfreulicherweise auch der Humor nicht zu kurz, und natürlich gab es viel Wissenswertes zu erfahren, was den meisten Anwesenden neu gewesen sein dürfte. Oder hätten Sie gewusst, dass er im Jahr 1870 für ein paar Monate in Frankreich im Gefängnis gesessen hat? Oder dass ihm eine Villa in Heringsdorf lieber wäre, als eine Pension voller Gerüche in Rüdersdorf? Oder dass er in seinen jungen Jahren sehr umtriebig war, und z. B. zwischen 1840 und 1845 nacheinander in Berlin, Burg bei Magdeburg, Letschin, Leipzig, Dresden lebte und es in Berlin auf fünf verschiedene Wohnungen brachte?

Nunmehr über die Wahl des Titels der Veranstaltung aufgeklärt, fragt man sich doch glatt, wie Fontane bei so viel Mobilität noch seine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit bewältigen konnte.

Wir, die wir ihn bis heute verehren, danken es ihm, dass er es dennoch geschafft hat. Und die Anwesenden dankten den Veranstaltern des Fontane-Kreises Leipzig für eine vergnügliche Stunde, die ihren besonderen Reiz hatte – an diesem seltenen 29. Februar 2012.

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