Vortrag in Leipzig: Theodor Fontane und die Verkehrsmittel des 19. Jahrhunderts

Text: Eberhard Figlarek
Fotos: Monika Stoye

IMG_3152 Ebenso erstaunlich wie erfreulich ist die Feststellung, dass das manchmal fast übermächtig erscheinende Kulturangebot der Stadt Leipzig nicht nur von gesponserten Veranstaltungen lebt. Oftmals sind es auch kleine Vereine, die es trotz ihres geringen Budgets verstehen, sich mittels kleiner, aber einprägsamer Veranstaltungen interessierte Besuchergruppen zu erschließen und zu erhalten.

Beredtes Beispiel dafür ist der Fontane-Kreis Leipzig, der am 9. Juni in die Stadtteilbibliothek „Walter Hofmann“ in der Steinstraße zu einem interessanten Vortrag eingeladen hatte. Die Germanistin Martina Klemm, die an der Universität Basel an ihrer Promotion arbeitet, hatte sich vorgenommen, über die „Bedeutung der Verkehrsmittel in Fontanes Roman 'Der Stechlin'“ zu sprechen.

Auf den ersten Blick scheint dies ein etwas abseitiges Thema zu sein. Denn für uns Kinder des 21. Jahrhunderts gehören Verkehrsmittel zum Alltag, aber zu Fontanes Zeiten steckte die Entwicklung technischer Verkehrsmittel zu Lande, zu Wasser und in der Luft gerade mal in den Kinderschuhen. Sein Roman „Der Stechlin“ erschien 1895 – das war die Zeit, als in Berlin sowohl das gemeine Volk als auch die Herren Offiziere noch in den Wagen der Pferdebahnen über die Straßen zockelten, weil die elektrische Straßenbahn noch nicht erfunden war. Die Prototypen der Automobile ähnelten noch sehr den Kutschen, die im Straßenbild abzulösen sie gerade im Begriff waren. Und die Eisenbahnzüge donnerten mit schwindelerregenden 40 km/h über die Gleise …

In diese Zeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist die Handlung des „Stechlin“ eingebettet. Die Menschen, die dem Roman Leben und Gestalt geben, müssen mit dieser großen Herausforderung zurechtkommen, müssen sich entscheiden, wie weit sie sich dem Alten noch verhaftet fühlen oder dem Neuen öffnen, das naturgemäß auch soziale Veränderungen mit sich bringt.

 „Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue recht eigentlich leben“, was Fontane einer Hauptperson des Romans in den Mund legt, ist also das eigentliche Hauptthema des Romans, wofür Fontane die Verkehrsmittel als literarische Motive verwendet. Diese Aussage war von Frau Klemm sehr präzise und sorgfältig aufbereitet und in einer angenehm-sachlichen Art überzeugend dargeboten worden, wofür ihr die reichlich erschienenen Besucher herzlich dankten, hatten sie doch den „Stechlin“ durch diese Interpretation auf eine völlig neue Art und Weise kennengelernt.

Es ist also, wie man sieht, durchaus nicht abseitig, sich bei der Betrachtung eines Romans aus dem späten 19. Jahrhunderts speziell den Verkehrsmitteln zu widmen.

Heute sind die Kutschen, die er beschrieb, längst modernen Automobilen gewichen. Manche haben einen Stern auf der Motorhaube, manche vier Ringe, manche einen blau-weißen Kreis. Dies registrierend, grämt sich derjenige ein bisschen, der auf sein Fahrrad steigt.

IMG_3147

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.