Gabriele Liebenow und Ingo Schwarz: Theodor Fontane in den Vereinigten Staaten


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Am 24. Februar 2011 veröffentlichte der amerikanische Kritiker, Essayist, Herausgeber und Autor Phillip Lopate in The New York Review of Books (Vol. LVIII, No. 3, p. 35-38) einen Essay über Theodor Fontane unter dem Titel „The Best German Novelist of His Time“. Anlass zu diesem Aufsatz war der in den Vereinigten Staaten gerade neu erschienene Fontane-Roman „Unwiederbringlich“, ins Englische übertragen von Douglas Parmée (1914-2008). Parmée, über viele Jahre Dozent für moderne Sprachen im englischen Cambridge, nannte seine 1964 erschienene Übersetzung „Beyond Recall“; der Nachdruck von 2011 trägt den Titel „Irretrievable“. Lopates Essay in der New Yorker Zeitung ist eine gekürzte, leicht überarbeitete Fassung seines Nachworts für diese Romanausgabe, in dem er den Lesern ausführlich erläutert, wer dieser „best German novelist of his time“ eigentlich war. Darin bedauert Lopate lebhaft, dass man Fontanes Romane – er nennt sie sparkling, tender, sympathetic, delicately ironic, psychologically astute – in den Vereinigten Staaten nicht besser kennt. Er folgt dem bedeutenden Historiker und Fontane-Biographen Gordon A. Craig (1913-2005), für den der wichtigste deutsche Romancier zwischen Goethe und Thomas Mann eben dieser Theodor Fontane war. Irretrievable-theodor-fontane-paperback-cover-artLopate seinerseits sieht Fontane in einer Reihe mit Stendhal, Balzac, Turgenev, Flaubert und Zola. Fontane, so der Autor, habe den deutschen Roman in der Bismarck-Ära für die Gesellschaft mit ihren Umgangsformen, Traditionen, Hierarchien und historischen Spannungen geöffnet. Damit aber nicht genug: seine Romane seien bis heute eine vergnügliche Lektüre. Fontane verdamme nicht, predige nicht Moral, er wolle stets die verschiedenen Seiten eines Problems betrachten.

Einer kurzen, präzisen Einführung in Fontanes Leben und einer Zusammenfassung seiner Werke folgt die Einführung in den Roman „Unwiederbringlich“. Für den Verfasser ist gerade dieser Roman „so munter und voller amüsanter Kurzauftritte und Nebenstraßen. Fontane machte in diesem Roman guten Gebrauch von seinen früheren Tätigkeiten – als Balladendichter, als Reiseschriftsteller, als Historiker, als Theaterkritiker.“ (S. 36) Dabei sei der Humor nicht nur eine bevorzugte Technik des Schreibens, sondern auch ein Nebenthema im Roman selbst. Fontanes große Aufrichtigkeit und seine Fähigkeit, den Standpunkt jeder Figur zu erfassen, erlaubten es dem Leser, mit jeder der beiden Hauptfiguren des Romans, Gräfin Christine und Graf Helmuth Holk, zu sympathisieren. „Das Paradoxe dieses Paares besteht darin, dass Holk wohl oberflächlich ist, aber in seinem flotten Schwung auch etwas Lebensbejahendes liegt. Demgegenüber macht sich Christine ständig das Gute und das Tiefe zu Eigen, aber ihre Tugend enthält ein Element von Starrheit, das schließlich zur Selbstzerstörung führt.“ (S. 38) Der Essay schließt mit einem Zitat von Erich Heller über den Ton Fontanes, „den Ton einer Stimme, die liebevoll spricht, mit sanfter Ironie und dem stillen Wissen um die Nichtigkeit aller Dinge.“

The new yorkerAm 7. März 2011 erschien in The New Yorker (S. 75-79) ein ebenfalls lesenswerter Artikel von Daniel Mendelsohn unter dem Titel „A Critic at Large. Heroine Addict. What Theodor Fontane’s women want“. Wir hoffen, dass diese aktuellen essayistischen Arbeiten amerikanischer Kritiker, veröffentlicht in viel gelesenen, renommierten Zeitschriften, sowie kürzlich in englischer Sprache erschienene Neuausgaben dem Werk Theodor Fontanes – über einen engen akademischen Rahmen hinaus – auch in den USA die verdiente Anerkennung verschaffen mögen.

Gabriele Liebenow

Ingo Schwarz

 

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