„Brief aus Berlin“ (33): Adelbert von Chamisso, 30.1.1781 – 21.8.1838

Von Georg Bartsch

Chamissos Eltern stammten aus Frankreichs konservativem Adel, mussten wegen der Revolution das Schloss in der Champagne verlassen und nach Deutschland fliehen. So kam der 15 jährige Adelbert – er hatte bald einen deutschen Vornamen angenommen – als Page an den Hof der Königin Friederike Luise, der Gattin Friedrich-Wilhelms II., ins Schloss Monbijou. Hier begann Chamisso, Gedichte zu schreiben. Vom Schloss Monbijou ist heute nichts mehr zu sehen, doch am Rande des Parks steht eine Büste Chamissos.

Büste im Monbijoupark
Foto: Georg Bartsch

Fontane sollte ebenfalls mit 15 Jahren mit dem Dichten beginnen. In einem Brief an Theodor Storm schreibt er: „In meinem fünfzehnten Jahre schrieb ich mein erstes Gedicht, angeregt durch Chamissos ‘Salas y Gomez’. Natürlich waren es auch Terzinen.“ Zu den bekanntesten Gedichten Chamissos zählt Die alte Waschfrau.

Im Roman Irrungen, Wirrungen heißt es im 4. Kapitel in einem Gespräch zwischen Botho und Frau Dörr:

„‘Jeder Stand hat seine Ehre. Waschfrau auch. Wissen Sie denn, Mutterchen, daß es hier in Berlin einen berühmten Dichter gegeben hat, der ein Gedicht auf seine alte Waschfrau gemacht hat?’ ‘Is es möglich?’ ‘Freilich ist es möglich. Es ist sogar gewiß. Und wissen Sie, was er zum Schluß gesagt hat? Da hat er gesagt, er möchte so leben und sterben wie die alte Waschfrau. Ja, das hat er gesagt.’ ‘Is es möglich?’ simperte die Alte noch einmal vor sich hin.“

In einem Brief an Emilie schreibt Fontane: „Geliebte. In dem Gedicht ‘Szekler Landtag’, einem ziemlich berühmten Gedicht von Chamisso, ist der Refrain: ‘Es regnet, es regnet immer noch’. Darin hat er, große Situationen nach Dichter- und Prophetenart ein für allemal kennzeichnend, auch die meine getroffen. Es regnet, es regnet immer noch.“

In den Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Oderland erzählt Fontane am Ende des Kapitels über Kunersdorf:

„Das Jahr 1813 brachte noch einen andern Gast nach Schloß Cunersdorf, und mit seinem Besuche schließen wir wie mit einem Idyll. Dieser Gast war Chamisso. Chamisso, bekanntlich infolge der Französischen Revolution aus Frankreich emigriert, hatte als preußischer Offizier die unglückliche Campagne von 1806 und speziell die Kapitulation von Hameln mit durchgemacht. Seitdem lebte er ausschließlich den Wissenschaften, besonders dem Studium der Botanik. Im Frühjahr 1813 waren seine Mittel erschöpft, und Professor Lichtenstein, dem Itzenplitzschen Hause befreundet, empfahl den jungen Botaniker nach Cunersdorf hin, wo er, nach bald erfolgtem Eintreffen, die Anlegung einer großen Pflanzensammlung unternahm, eines Herbariums, das einerseits die Flora des Oderbruchs, andererseits alle Garten- und Treibhauspflanzen des Schlosses selbst enthalten sollte. […] Die Mußestunden gehörten aber der Dichtkunst, und im Cunersdorfer Bibliothekzimmer war es, wo unser Chamisso, am offenen Fenster und den Blick auf den schönen Park gerichtet, den ‘Peter Schlemihl’, seine bedeutendste und originellste Arbeit, niederschrieb.“

Fontane beschreibt, wie Chamisso vergeblich auf Post seines Freundes Hitzig wartet: „Dieses zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Cunersdorf hast, dem Du eben nicht sehr oft schreibst. Es ist eine ganz fatale Empfindung, wenn alle Tage der Postbote einläuft und die Austeilung der Briefe im Salon geschieht und für einen Jeden etwas da ist und für den Herrn von Chamisso – nischt niche!“

Herrlich, wie Fontane Chamisso mit seinen französischen Wurzeln berlinern lässt.

Medaillon im Botanischen
Garten; Foto: G. Bartsch

Das Schloss Kunersdorf ist im Krieg zerstört worden. Heute finden wir im Schlosspark einen Gedenkstein für Chamisso und die Entstehung des Schlemihl. Chamisso nahm von 1815 bis 1818 auf dem Schiff „Rurik“ an einer Weltumseglung unter der Leitung von Otto von Kotzebue, Sohn des Dichters August von Kotzebue, teil. Danach wurde Chamisso in Berlin sesshaft, heiratete mit 36 Jahren und bekam 7 Kinder. (Korrekt müsste es heißen 8 Kinder – siehe weiter unten.) Er erhielt eine Stelle als Kustos im Botanischen Garten, der sich damals noch dort befand, wo sich heute der Kleistpark befindet. Den Weg dorthin legte er täglich von seinem Haus am südlichen Ende der Friedrichstraße zurück; er bewohnte hier ein Gartenhaus. Damals war „Gartenhaus“ noch wörtlich zu nehmen – heute ist es ein Euphemismus für ein Hinterhaus. Etwa da, wo das Gartenhaus stand, ist heute – wie passend – ein Kindergarten.

Zur Friedrichstraße hin erinnerte bald ein Bild Chamissos an diesen. Im Krieg wurde das Haus zerstört, das Medaillon aus den Trümmern gerettet.

Friedrichstraße 235
Foto: G. Bartsch

Es hängt heute im Botanischen Garten in Dahlem im Eingangsbereich des Museums. In der Friedrichstraße 235 erinnert eine Gedenktafel an Chamisso mit den Worten: „Ich bin Franzose in Deutschland und Deutscher in Frankreich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei den Katholiken, Jakobiner bei den Aristokraten und bei den Demokraten ein Adliger … Nirgends gehöre ich hin, überall bin ich der Fremde.“ Von Hans-Jürgen Schmelzer erfahren wir: „Paul Heyse vermittelt dem Dichter [Fontane] schließlich die Bekanntschaft mit dem Verleger, der in den nächsten Jahrzehnten zum wichtigsten Herausgeber seines Werkes überhaupt wird: Wilhelm Hertz. – ‘Stachlig und giftig’kommt ihm der kleine Kerl auf Anhieb vor, der trotz seines jüdischen Namens gar kein Jude ist. Niemand weiß, daß es sich um den natürlichen Sohn des Dichters Adelbert von Chamisso handelt. Erst drei knappe Menschenalter später wird eine Nachkommin diese Abstammung amtlich nachweisen, um sich vor rassischer Verfolgung einer barbarischen Diktatur zu schützen.“ Chamisso hatte im ersten Jahr seiner Ehe ein Verhältnis mit Marianne Hertz.

Neben Spuren Chamissos in der Stadt finden wir sein Grab auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor. Chamisso zeigt uns, wie geflüchtete Menschen zur Bereicherung von Stadt und Land beitragen. Die Robert Bosch Stiftung ehrt mit einem nach Chamisso benannten Preis deutsch schreibende Autoren nicht-deutscher Muttersprache.

 

Korrektur zum Brief aus Berlin Nr. 33

Im Roman Irrungen, Wirrungen ist Botho von Rienäcker nicht im Gespräch mit Frau Dörr, sondern mit Frau Nimptsch, der Wasch- und Plättefrau. Danke den aufmerksamen Leserinnen und Lesern.

One comment

  1. Udo W. Acker says:

    Eine kleine Ergänzung zu den Ausführungen von Georg Bartsch sei gestattet.
    In seinem Roman „Graf Petöfy“ lässt Fontane seine Protagonistin Franziska Franz erstaunlich belesen erscheinen. Gleich zu Beginn des 22. Kapitels lesen wir:
    „Abermals waren Wochen vergangen und in Ablösung der sonnigen Tage, die seit Anfang August über Schloß Arpa gestanden, hatten sich Regentage eingestellt. »Es regnet wie auf dem Szekler Landtage«, sagte Franziska scherzhaft, und als der Graf nach der Bedeutung davon fragte, rezitierte sie zu seiner nicht geringen Erheiterung das gleichnamige Chamissosche Gedicht.
    »Ei, da muß ich aus einem norddeutschen Gedicht erfahren, wie’s auf dem Szekler Landtag aussieht«, lachte der Graf, und jedesmal, wenn er Franziska begegnete, wies er auf die Wasser, die draußen nach wie vor niederströmen, und wiederholte die Refrainzeile: »Der Regen regnet immer noch.«
    Dass Franziska die 21 Terzinen-Verse rezitiert, ist für eine Schauspielerin nicht außergewöhnlich, erstaunen macht, dass sie es überhaupt kannte. Sie als Pommerin hätte auch ihren Landsmann Fritz Reuter (1810-1874) zitieren können, der in seinem Plattdeutsch das Gedicht „De Buren bi Regenweder“ (1858 in „Läuschen un Rimels“) schrieb. „Un hürt dat denn nich up, denn minetwegen, denn lat’t wi’t hen nah’n Deuwel regen“ heißt es hier. Aber vielleicht wollte Fontane, wenn er Reuters Gedicht kannte, dem Grafen kein Rätsel aufgeben, da er Plattdeutsch sicher nicht verstanden und eine Übersetzung benötigt hätte .
    Die zitierten Sätze aus dem Brief Fontanes an seine Frau finden sich dann fast als Kopie in dem Absatz, wo sich der Graf erstaunt über die Kenntnisse seiner Frau zeigt, zumal ihn als Ungar der Hinweis auf den seinerzeit zu Ungarn gehörenden Landesteil Siebenbürgen, wo die Szekler eine der dort lebenden kleinen Minderheiten waren und bis 1867 eine eigene Volksvertretung, eben den Landtag, hatten, erfreut haben mag.
    Siehe auch UWA „Schlagt die Geschichte nach von Siebenbürgen. Adelbert von Chamisso über die Unbill der Natur im Karpatenbogen“, in Siebenbürgische Zeitung, München 30.9.1998, S. 6.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.