Fontane-Kreis Leipzig: Zum 70. Todestag von Gerhart Hauptmann

Von den „nervösen Frauen“ des 19. Jahrhunderts zu einer Ehe zu dritt: zum 70. Todestag von Gerhart Hauptmann, Vortrag von Prof. Dr. Rüdiger Bernhardt

Text: Matthias Grüne

Foto: Petra Hesse

IMG_9164Am 6. Juni 2016 jährte sich der Todestag des Dichters Gerhart Hauptmann zum 70. Mal. Viel Aufmerksamkeit ist diesem Jubiläum in der Öffentlichkeit nicht geschenkt worden. Der Ruhm des einst europaweit gefeierten Dramatikers, der 1912 den Literaturnobelpreis erhielt und zu Beginn der 1920er Jahre sogar als Reichspräsident gehandelt wurde, ist mittlerweile erheblich verblasst. Einen festen Platz im Kanon und auf den Theaterbühnen haben lediglich Texte aus dem naturalistischen Frühwerk. Der bemerkenswerte Reichtum an Stiltendenzen und Themen hingegen, der Hauptmanns späteres Werk auszeichnet, hat auf lange Sicht seinem literarischen Nachruhm eher geschadet als genützt. Es festigte sich das Bild eines Dichters, der sich zu einem klaren künstlerischen Programm nicht entschließen kann und immerzu zwischen den verschiedenen Positionen und Strömungen laviert.

Aus Anlass des Jubiläums hatte der Fontane-Kreis Leipzig mit Prof. Dr. Rüdiger Bernhardt einen ausgewiesenen Kenner von Hauptmanns Werk am 20. September 2016 in die Stadtbibliothek Leipzig geladen. Fontane selbst und dessen Beziehung zu dem jungen Hauptmann spielten im Vortrag allerdings nur am Rande eine Rolle. Dafür bekamen die Zuhörer einen detaillierten Einblick in das Leben und Schaffen des Jubilars. Bernhardts Anliegen war es, das Beharren auf der Widersprüchlichkeit und Unentschiedenheit als den charakteristischen Zug von Hauptmanns Persönlichkeit und seinen literarischen Texten auszuweisen. In den Mittelpunkt seines Vortrages rückte der Referent dabei das Bemühen des Dichters, alternative Liebes- und Lebensformen wie die Ehe zu dritt literarisch durchzuspielen und in der Realität zu verwirklichen. An zahlreichen Beispielen, darunter die Erzählung Bahnwärter Thiel, das Märchendrama Die versunkene Glocke oder das Drama Und Pippa tanzt!, zeigte Bernhardt auf, wie Hauptmann meist über seine Frauenfiguren die Gegensätze der menschlichen Natur – das Streben nach dem Geistig-Kultivierten und das Verlangen nach dem Sinnlich-Kreatürlichen – darstellt. Die Ehe zu dritt erschien dem Dichter vor diesem Hintergrund als eine Möglichkeit, diese Gegensätze in gewisser Weise zu balancieren und zu ertragen. Dass die Widersprüche damit nicht aufgehoben, das Problem ihrer Vermittlung nicht endgültig gelöst werden kann, lässt sich sowohl den Texten als auch Hauptmanns Biografie entnehmen. Und dennoch: Wie Bernhardts Vortrag eindrucksvoll vorführte, ist es gerade die Artikulation jener innermenschlichen Widersprüche, die Hauptmanns Werk in seiner Gesamtheit auszeichnet und auch heute noch, 70 Jahre nach dem Tod des Dichters, interessant und relevant macht.

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