Klaus-Peter Möller: Kunst-Stoff – 400 „Paten“ gesucht für Plastik Fontane von Ottmar Hörl

Text und Fotos: Klaus-Peter Möller

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Ottmar Hörls quietschbunte Masseninstallationen von Plastikfiguren sind längst keine Provoka­tion mehr (Arme Kunst, deren Protagonisten keine anderen Ziele kennen!), sondern Masche, die vermarktet wird. Ihr Meister sieht sich nicht ohne einen Tick Selbstironie als weltweit bedeu­tend­­sten Gartenzwergkünstler. Darf ein Gartenzwerg den „deutschen Gruß“ ­­zeigen? Mit so was beschäftigt man sich hierzulande, ernsthaft, sogar die Gerichte werden in der Frage bemüht, wie in anderen bedeutenden Gegenwarts-Problemen, etwa ob Jan Böhmermann ein Gedicht geschrieben hat und welche Rolle der anachroni­stische Majestäts­beleidi­gungs-Strafparagraph in unserem Rechtsstaat noch spielen kann, nach dem schon zu Heinrich Manns Untertan-Zeiten eingelocht wurde.

Hörl hat sich das Multiple nicht ausgedacht. Schon der erste chinesische Kaiser Quin Shihuang­di fand es nötig, mit einer Armee von 7000 Ton-Kriegern seinem Größenwahn ein Denkmal zu setzen. Nach 2000 Raaben, 7000 Dürerhasen, 10.000 Eulen, die bewiesen, dass man selbige eben doch nach Athen tragen kann, 10.000 Bären, die er in Berlin aufmarschieren ließ, 1000 Einheits-Ampelmännchen, die er zum 25. Jubiläum der Wiedervereinigung auf Deutschland­reise schickte, 2000 Frischlingen für Siemens, 400 Schutzengeln, 500 Wagners zum 200. Geburtstag des Komponisten für Bayreuth, 500 Rottweilern, 500 Marxen für Trier, 800 Luthers für Wittenberg, 500 Goethes für Frankfurt, alles farbenfroh und aus Plastik gegossen, hat Hörl nun 400 Fontanes in den offenen Raum gestellt, genauer gesagt: in Neurup­pin installiert, die meisten davon auf der abgelatschten Rasenfläche vor der Kulturkirche, wo sie vom 8. bis zum 22. Mai zu sehen sind. Eine kleine Gruppe marschiert aber auch ruhelos im Hafen umher, in respektvoller Distanz zum riesenhaften Parzival. Einer der gelben Zwerge stand verloren an einer Bushaltestelle vor einem riesigen duftend blühenden lila Fliederbusch. Aber auch im Schaufenster der Fontane-Buchhandlung war am Tag der Vernissage schon ein kleiner gelber Fontane zu sehen, obwohl der 8. Mai ein Sonntag war … Tüchtige Buchhändlerin! Aktueller geht’s nicht.

Hörl „rechnet“ mit dem „Wechsel“ seiner Figuren vom öffentlichen in den privaten Raum, der „fliegende Wechsel“ des Besitzes ist ein Teil dieser massenhaften Installationen, es überrascht kaum, dass der Künstler schon während der Vernissage berichtet, eine der Figuren sei bereits gestohlen worden. Für das Gros der 400 Fontanes werden per Flyer, Plakat, Annonce und durch wehende Banner „Paten“ gesucht. Sogar auf einem kleinen Ort, wo üblicher Weise allenfalls leicht bekleidete Mädchen als dezente Reklame für Kunststoffartikel ganz anderer Art zu sehen sind, wurde fein säuberlich dafür geworben. Wer 300 Euro investiert, darf seinen Fonty nach dem Ende der Installation mit nach Hause nehmen. Wer sein Exemplar vom Künstler signiert haben möchte, muss noch einmal 200 Euro drauflegen.

Ooops – auf meinem Stuhl fand ich bei der Vernissage den Programmflyer – versehen mit einer Signatur, groß mit schwarzem Filz-Stift quer über das Deck-Blatt geschrieben. Ist mein Flyer jetzt 200 Euro wert? Hat der Künstler alle gefühlt 1000 Flyer der Veranstaltung selbst signiert? Warum habe ich bloß nicht mehr davon mitgenommen? Oder war’s einer der Crew-Angehörigen, die im schwarzen „Otmar Hörl Skulptur“-T-Shirt an diesem Tag gleichfalls geschäftig den Raum bevölker­ten? Bei anderen Figuren ist die Preissteigerung durch die Signatur sogar noch größer – der Wert der „Persönlichkeiten“ wuchs im Schnitt um 350 Euro, bei Rottweiler, Seelöwe und Pferde­kopf sind 400 Euro, beim Stierkopf sogar 600 Euro! Davon hat es ja auch nur 150 gege­ben! Ein Stierkopf in Gold! Fallada, dass du hangest! Ach nein, das war der Pferdekopf! Den es natürlich auch gibt.

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Es ist nicht ganz leicht, sich angesichts eines solches Marketing-Auftritts und einer derartigen Multiplikatorik dem eigentlichen Kunst­­werk zu nähern, seinen wahren Wert zu sehen, der im einzelnen Modell liegt, in der Installation der vervielfältigten „Plastik“ im öffentlichen Raum und in der Reaktion des Publikums. Klar, die üblichen anheimelnden Verfremdungs-Versuche waren sofort greifbar: Mütze drauf, Schale mit Birnen vor die Füße, wie man ja auch beim Alten Fritz heute immer Kartoffeln auf dem Grab findet, Bussi-Bussi-Selfie, wozu man sich in die Hocke begeben muss – oder noch besser auf die Knie, einer brachte seinen eigenen Gartenzwerg mit und stellte ihn in Korrespondenz zu einer der Figuren auf. Die einzelne Skulptur, die der Künstler modelliert hat, wirkt klobig, verschlossen, nicht offen, neugierig und zugewandt, wie die von Max Wiese 1907 gegossene „sitzende Bronze“, und doch ist sie ein ernst zu nehmendes Kunstwerk, Fontane als Wanderer porträtierend und auf eine merkwürdig verfremdende Weise in die Gegenwart implizierend, handhabbar gemacht, verkleinert, mit modernen Mitteln präsen­tiert. Die Installation als serielles Ereignis lässt kein Ordnungs-Prinzip erkennen, verwirrt vielmehr und hinterlässt den Eindruck ruhe- und ziellosen Umherwanderns im Beliebigen.

Die Liste der „Paten“ mag das eigentliche Resultat dieser Installation sein. Es wird sich zeigen, wo überall man dieser Plastik später begegnen – oder eben nicht begegnen wird. 400 Fontanes ist eine eher vorsichtig kalkulierte Start-Auflage für Hörls Fontane-Plastik. Aber wer weiß, ob es überhaupt so viele sind. 200 graue, 200 gelbe sollen es sein. In der Installation überwog die Farbe Gelb. Ein knalliges, im verschwenderisch den Tag vergoldenden Licht der Wonne­monats­sonne strahlendes Gelb.

An den Stoff, aus dem die Plastiken hergestellt sind, knüpft der Künstler seine philosophische Botschaft. Das sei für ihn ein geradezu idealer Stoff, der ihm eine Demokratisierung der Kunst ermögliche. Sie sollte für jeden erschwinglich sein. Deshalb habe er seine Objekte nicht in Bronze gegossen, sondern eben in Kunst-Stoff. Schönes Wort! Was unterscheidet seine Tiere von den beliebten Spielzeugfiguren der Firma Schleich? Die Größe? Die Signatur? Klar, Luther, Wagner, Goethe und Fontane gehören nicht zur Produktepalette, aber Tiere jeglicher Art kann niemand besser als Schleich. Und die sind auch aus Kunststoff. Meine Kinder besitzen eine ganze Kiste voll davon, die haben auch ein kleines Vermögen gekostet.

Alles ist Kunst. Oder nichts. Wer entscheidet darüber, ob Hörls Wanderer-Figuren überbewer­tete Staubfän­ger sind oder dauerhafte Devotionalienschreinbewohner? Die Handyknipser, die ihre gedankenlosen Mitbringsel auf Instagram posten? Die Erwerbungsverweigerer? Die Paten? Wenn ich einen davon – aber welche Farbe? – einsperre in eine große Plexiglas-Spendenbox für die Fontane-Gesellschaft – wäre das dann auch eine Kunst-Installation? Ich könnte sie „Stern-Taler“ nennen. Oder „Taler-Theo“. Theo, Theo, du musst wandern … !

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