Fontane-Kreis Leipzig: „Und nun noch ein Geschichtchen“

Zur Erzählstruktur Von Zwanzig bis Dreißig. Vortrag am 3. Februar 2016

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Nach einer Vorschau auf das  Jahresprogramm 2016 des Fontane-Kreises Leipzig wurde dasselbe mit einem Vortrag von Matthias Grüne, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Universität Leipzig, zu Fontanes autobiografischem Werk Von Zwanzig bis Dreißig: Autobiographisches (1898) eröffnet.

Der Referent, der den Fontane-Freunden bereits durch mehrere Vorträge sehr gut bekannt war, stellte dieses Mal eine erzähltheoretische Analyse vor, die im Rahmen eines Seminars zur Vorbereitung einer Neuausgabe dieses zweiten Erinnerungsbuches Fontanes unternommen worden sei. Dabei erörterte er dessen künstlerische Qualität und ging gezielt auf narrative Strukturen ein, die er an konkreten Textstellen aufzeigte. So verfolgte der Vortragende erzählerische Mittel anhand von Charakterstudien und Kurzportraits, die der Autor auch zu Kollegen des Tunnel-Vereins angefertigt hatte. Er stellte mithin fest, dass keine scharfe Abtrennung zwischen schreibendem Ich und dem erlebenden jungen Fontane als Figuren-Ich besteht: die Erinnerung erscheine nicht als „abgelegtes Material“ früherer Zeiten, sondern bleibe in der Erzählung lebendig und nah. 

Grüne fand weiter heraus, dass Fontane seine erzählten Lebensstationen mit dem „Anschein des Alltäglichen“ unscheinbar „umkleidet“ habe. Beispielsweise berichtet Fontane von der Verlobungsszene mit Emilie Kummer, als sich ihm am Fuß einer Brücke plötzlich der Gedanke aufgedrängt habe, es sei am besten, sich mit ihr zu verloben – was dieselbe Brücke überschritten habend, unaufgeregt, geradezu belanglos geschehen war.

Fontane selbst stehe im Mittelpunkt seiner Erzählung ohne wirklich ihr Gegenstand oder Protagonist zu sein, fasste der Referierende zusammen. Thema seien vielmehr jene Zeitgenossen, die in die Deutungsperspektive des Alten gestellt werden und recht eigentlich das gelebte Leben beschreiben. Es handele sich, so der Abschluss der Untersuchung, nicht um eine unfest abgesteckte Entwicklungsgeschichte im Sinne des Werdens und Reifens zwischen Lehrjahren und Heirat. Vielmehr stelle die Autobiografie eine pointierte Rückblende auf die gesellschaftlichen Kreise dar, worin Fontane einst verkehrte. Zuletzt weise das autobiografische Erzählkonzept, das auch Fontanes Revolutionsbegeisterung spiegelt, ehemalige Schauplätze aufruft und Akteure der Vergangenheit als nahezu fiktive Figuren vergegenwärtigt und mit ihnen abrechnet, strukturelle Parallelen zu Fontanes Romanwerk auf. Somit bestehe die Besonderheit des besprochenen Textes im Wahrheitsanspruch, zugleich in der romanartigen Aufstellung der Figuren.

Text: Dr. Uta Hanke

Foto: Monika Stoye

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