Wer war Quintus Icilius?

von Emil Thomas

Im Kapitel „Gröben und Siethen“ – IV. Band der „Wanderungen“ – macht uns Fontane mit einem Gelehrten und späteren Offizier aus dem engeren Kreis Friedrich des Großen bekannt, der deshalb unser Interesse verdient, weil ohne ihn ein bemerkenswertes Kapitel der Preußischen Geschichte unbeachtet geblieben wäre. Fontane zitiert aus dem Gröbener Kirchenbuch Stationen seines Lebens.

333Quintus Icilius – eigentlich Karl Theophil Guichard – stammte aus einer angesehenen und vermögenden Hugenottenfamilie. Er wurde 1724 in Magdeburg geboren, wo sein Großvater eine Töpferei betrieb. Sein Vater war Jurist und Hofrat. Auf Wunsch des Vaters studierte der Sohn Theologie. Obwohl ordinierter Pfarrer – vertretungsweise predigte er in Marburg und Herborn – strebte er kein Pfarramt an; es zog ihn vielmehr zur klassischen Philologie und Orientalistik. Er studierte an der angesehenen Universität Leiden Arabisch und Hebräisch und übersetzte aus syrischen, arabischen und chaldäischen Dialekten und Sprachen. – Da sich eine Universitätskarriere zerschlug, trat er in holländische Militärdienste. Später schrieb er in London ein sechsbändiges Werk über antike Kriegsgeschichte, das im Haag 1758 veröffentlicht wurde und ihn an den europäischen Höfen bekannt machen sollte. Mit diesem Werk, das, statt des originalen längeren französischen Titels: MEMOIRES MILITAIRES SUR LES GRECS ET LES ROMAINS; (…) kurz „Polybios“ genannt wurde, (nach dem gleichnamigen griechischen  Geschichtsschreiber um 200 v. Chr.), empfahl er sich auch Friedrich II., der die Bewerbung gerne annahm. Die erste Begegnung fand 1758 im Breslauer Winterquartier statt. Wegen seiner hohen Bildung, seiner umfassenden Kenntnisse über antike Militärgeschichte – von denen sich der König neue Strategien für seine Kriegführung erhoffte – gehörte er bald zu seiner nächsten Umgebung. – Doch wie kam er zu diesem Namen? Des Königs besondere Aufmerksamkeit in den Schriften des Guichard galt unter anderem der „Schiefen Schlachtordnung“, mit der Caesar die zahlenmäßig überlegenen Truppen des Pompejus in der Schlacht bei Pharsalos (48 v. Chr.) schlug. In einem Gespräch mit Guichard über diese ihn schon länger interessierende Strategie glaubte der König, sich an den Namen des Centurio erinnern zu können der sie befahl: Quintus Icilius. Guichard widersprach: „Quintus Aetilius“. Nach längerem Disput gab der König nach und entschied trotzig: „Damit es in Zukunft einen Quintus Icilius gibt, soll Er zeitlebens diesen Namen tragen“. (Beide Disputanten irrten sich allerdings in dieser Frage, denn den Befehl gab der Centurio Crastinus, der noch am Tage der Schlacht fiel). Erstmals angewendet wurde die „Schiefe Schlachtordnung“ schon von dem Thebanischen Feldherrn Epaminondas 371 v. Chr. In den Militärischen Schriften (1748) schreibt sich der König diese Gefechtstaktik jedoch selbst zu. Im Siebenjährigen Krieg wandte er sie in der Schlacht bei Leuthen (1757) erfolgreich an. Quintus Icilius wird als schroff und rechthaberisch beschrieben und war weder dem König noch dessen Umgebung ein bequemer Mann. Er war sich seines Wissens wohl bewusst und vertrat seine Meinung mit Nachdruck. Der König behielt ihn dennoch in seiner Nähe, unterstellte ihm sogar ein Freibataillon und beförderte ihn zum Major und später zum Obristleutenant.

Ein in der Geschichte der preußischen Armee wohl einmaliger Vorgang, in welchem Ehre und Gewissen des Soldaten über den nicht nur dem König geschuldeten Gehorsam gestellt wurde, ringt ihn in Gegensatz zu zwei anderen hohen Offizieren im Stab des Königs: 1760 wurde Berlin von russischen und österreichischen Truppen besetzt, dabei verwüsteten österreichische Husaren und sächsische Ulanen „wider alle Kriegsraison“ – so des Königs Worte – das Schloss Charlottenburg. Sie zerstörten die wertvolle Antikensammlung, die sich der König unter großen Kosten mühevoll zusammenkaufte und an der er besonders hing. Ebenso wenig verschonten sie seine Lancret- und Watteaugemälde, von denen die Plünderer auch einige mitgehen ließen. Der König sah darin eine persönliche Brüskierung, die ihn zutiefst verletzte. Da geriet 1761, infolge der rasch wechselnden Kriegsschauplätze, Schloss Hubertusburg in den Machtbereich des Königs. Es galt als Wunderwerk sächsischen Spätbarocks und beherbergte eine der bedeutendsten Bibliotheken der Zeit. Die Schmach von Charlottenburg war noch nicht verblasst, und das Verlangen nach Genugtuung beherrschte den König. Der rief General von Saldern zu sich und erteilte ihm den Befehl, das Schloss zu besetzen und „alle geldwerthe Möbeln sorgfältig aufschreiben und einpacken. Ich will nichts davon haben; das Geld, das sie einbringen, will ich dem Lazarett assiguiren und werde Ihn dabei nicht vergessen“. Darauf Saldern: „Ew. Majestät halten zu Gnaden, das ist gegen meine Ehre und Eid“. Der König: „Er will nicht reich werden“ und suchte Verständnis für sein Handeln zu wecken. Er wiederholte nochmals seinen Befehl, doch Saldern blieb sich treu; versicherte dem König zwar seinen unbedingten Gehorsam: „… aber wider Ehre, Eid und Pflicht  kann ich nicht, darf ich nicht“ und weiter „Für dieses Geschäft werden Majestät wohl leicht eine andere Person finden“. (Gemeint war damit wohl Quintus Icilius, der ja ein Freibataillon befehligte.)

334Nun kam die Reihe an den Obersten Johann Friedrich von der Marwitz, dessen Besitz in Friedersdorf durch Kriegshandlungen und Plünderung ebenfalls schwer geschädigt wurde und deshalb dem König geneigter schien, seinem Befehl zu folgen. Doch der ließ sich ebenso wenig bereden und antwortete dem König: „Solches schicke sich allenfalls für die Offiziere eines Freybataillons (!), aber nicht für die des Regiments Seiner Majestät Gens d’armes“.

Beiden brachte es die allerhöchste Ungnade ein. Von der Marwitz bekam sie besonders zu spüren. Der König würdigte ihn in der Folgezeit keines Wortes geschweige denn Befehls mehr. Auch nicht bei den glanzvollen Truppenrevuen. Alle Eingaben, ja selbst seinen Abschied, um den er schließlich bat, blieben unbeantwortet. Um diesem Zustand ein Ende zu setzen, blieb der Oberst dem Dienst einfach fern.  Später lenkte der König ein und bot ihm ein neues Regiment an, doch nun lehnte von der Marwitz ab: „Was geschehen sei, sei geschehen und könne kein König mehr ungeschehen machen“. Seine Ehrauffassung ist heute noch auf seinem Grabstein in der Friedersdorfer Kirche zu lesen: „Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen; wählte Ungnade wo Gehorsam nicht Ehre brachte“. In der preußischen Armee stand das eigene Gewissen im Zweifelsfall über dem Gehorsam; ein in der öffentlichen Preußendiskussion viel zu wenig beachteter Aspekt. Der vorgenannte Grabstein in der hervorragend restaurierten Friedersdorfer Kirche repräsentiert wie kaum ein anderes Denkmal die moralische Substanz des Begriffes „Preußen“.

Nach diesen Absagen wandte sich der König an Quintus Icilius. Der führte den umstrittenen Befehl aus. Ob aus Gehorsam oder um seinen gering besoldeten Legionären eine Zulage zu gewähren, sei dahin gestellt. Die nicht an Traditionen gebundenen Freikorps standen in der Armee nicht im besten Ruf. Auch nicht das des Quintus Icilius, welches bei diesem Einsatz ganze Arbeit leistete. Alles, was von Wert und transportabel war, wurde verladen. Als der „Hubertusburger Frieden“ am 15. Februar 1763 im gleichnamigen Schloss unterzeichnet werden sollte, waren weder Tische noch Stühle vorhanden. Die Verhandlungen mussten deshalb im nahe gelegenen Schloss Dahlen stattfinden. Abzüglich 100.000 Taler, die der König für Lazarette beanspruchte, durfte Quintus Icilius den übrigen Erlös aus der Beute  behalten. Darunter auch die sehr wertvolle Bibliothek, die er sich selbst vorbehielt und dadurch vor der Gefahr des Verheizens in den kalten Winterquartieren bewahrte. Ironie der Geschichte: Sowohl von der Marwitz als auch Quintus Icilius liebten das Kartenspiel. Dabei verlor Letzterer „partienweise“, wie Fontane berichtet, alle Bücher aus dem Raubzug an den Obersten von der Marwitz. (Möglicherweise, wie unterstellt wird, auch in der Absicht, ihm die Bibliothek, auf die er mit seiner Entscheidung bewusst Verzicht übte, auf diese Weise zukommen zu lassen). Später kaufte der König 5300 Bände aus der Friedersdorfer Bibliothek, die vermutlich überwiegend aus jener Beute stammten.

Nach Friedensschluss widmete sich Quintus Icilius wiederum seinen wissenschaftlichen Arbeiten. Er gab mehrere Werke heraus, darunter den Kommentar über Julius Caesar und eine Abhandlung über die römische Zeitrechnung und deren Bedeutung für die Datierung historischer Ereignisse. Er wurde Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und verhalf der großen königlichen Bibliothek zu neuem Ansehen. Als man über Tisch gelegentlich auf Schloss Hubertusburg zu sprechen kam, richtete der König an ihn die Frage, wie viel Er denn aus dem Schloss mitgenommen habe? Quintus Icilius antwortete ungeniert: „Das müssen Eure Majestät doch am besten wissen, denn wir haben ja geteilt.“ Solche Antworten waren nicht nach des Königs Geschmack; Quintus Icilius blieb aber bei seiner Suite.

Im Jahre 1770 verlobte sich Quintus Icilius mit der vierundzwanzigjährigen Helene Albertine von Schlabrendorf, Tochter des Generalmajors Gustav Adolf von Schlabrendorf auf Gröben. Er kam nicht umhin, dem König davon Mitteilung zu machen. Der reagierte höchst ungnädig, fürchtete er doch, dass ein Offizier durch Heirat gebunden und nur noch bedingt verfügbar sei. Außerdem, so des Königs Haupteinwand, könne er eine Dame aus gräflichem Hause gar nicht ehelichen, da sein Vater doch nur Töpfer sei. Darauf Quintus Icilius: „Sire geruhen dies ebenso zu sein wie meine Vorältern, nur mit dem Unterschied, dass jene Fayence und Euer Majestät Porcellan mache“. Ein weiterer Beweis für das unbotmäßige Verhalten des Quintus Icilius seinem König gegenüber. Fontane überliefert uns diese Szene mit fast gleichen Worten. Als Quintus Icilius schließlich mit seinem Abschied droht, gibt der König seine Einwilligung zur Heirat. Doch blieb das Verhältnis zum König lange Zeit gespannt.

335Ins Kirchenbuch von Gröben, das seit 1578 geführt wird und als ältestes der Mark gilt, trägt Pfarrer Redde unter dem 3. Januar 1771 die Trauung ein. Die Ehe wurde sehr glücklich. Als Ehemann widmete er sich seinen Sammlungen und seiner umfangreichen Bibliothek und genoss die neue Häuslichkeit. Er erwarb das in der Nähe von Rathenow gelegene Gut Wassersuppe, das ihm vom König den Spottnamen „Seigneur de Wassersuppe“ einbrachte. Dort wurden auch die Kinder geboren, eine Tochter und ein Sohn letzterer mit Namen Friedrich Quintus Icilius. Doch währte das Glück nicht lange. Gut vier Jahre später stirbt Quintus Icilius. Pfarrer Redde widmet ihm im Kirchenbuch einen längeren Nachruf: „1775 am 13. Mai starb in Potsdam der Hochwohlgeborene Herr Charles Guichard, genannt Quintus Icilius, Sr. Majestät wohlbestallter Oberster von der Infanterie und Adjutant bei Dero Suite nach zweitägigem Krankenlager an einer Kolik und Inflamation (…). Hier war er ständig um und an der Seite des Königs, der fand an ihm einen Mann, den er als Soldaten, Philosophen und zugleich auch in rebus politicis gebrauchen konnte. Sein Körper ward auf Befehl des Königs, der den Sitz der Krankheit und die Todesursache erfahren wollte, geöffnet und nach Gröben gebracht, allwo der Sarg unter dem Kirchenstuhle, daran die Predigers-Frau ihren Sitz hat, beigesetzt. (…)“ Der König betrauerte seinen Tod aufrichtig und bekundete seine herzliche Anteilnahme der Familie gegenüber. Der Witwe ließ er zur Erziehung der Kinder jährlich 1000 Taler zukommen und bestellte außerdem einen Vormund, der ihm regelmäßig zu berichten hatte. Nur acht Jahre später, am 1. Mai 1783, starb auch seine Frau „und ward am 3. selbigen Monats in der Gruft ihres seligen Gemahls … beigesetzt. Aetate sechsunddreißig Jahr.“ Doch weist in der Gröbener Kirche nichts auf diese Begräbnisstätte hin.

Es bleibt das Verdienst des Quintus Icilius, die sächsische Bibliothek gerettet zu haben. Seine eigene ebenso reichhaltige wie kostbare Bibliothek, die „ …vortreffliche Werke der Altertumswissenschaften, Philologie, Geographie, Philosophie, schönen Wissenschaften u. a. enthielt …“ erwirbt der König von dessen Witwe für 12.000 Taler. Die Belege der Königlichen Bibliothek weisen aber nur 8000 Taler aus. Die fehlenden 4.000 entstammen der Privatschatulle des Königs. Mit diesem Ankauf wurde der Grundstock zur größten Bibliothek Deutschlands gelegt.

Literatur:
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band II und IV; Joh. Philipp Janssen: Quintus Icilius oder der Gehorsam; iudicium verlag München 1992 Jan Feustel: Quintus Icilius – Spaßmacher und Plünderer des Königs; Märkischer Sandbote, Heft 38; 2000

One comment

  1. Krentz says:

    Aus dieser Geschichte mit Quintus Icilius kann man sehr viel lernen. Viele Politiker der heutigen Zeit sollten sich mal mit den beiden Charakteren, von Marwitz und Quintus Icilius auseinander setzen. Ich finde das von Marwitz mit seiner Entscheidung besser gefahren ist als Quintus Icilius. Entscheide lieber nach deinem Gewissen und falle In Ungnade. Die deutsche Geschichte zeigt immer wieder, wo die Gier nach Macht und blinder Gehorsam hinführen.

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